Als wir uns am Freitagmorgen am
Rüsselsheimer Bahnhof treffen, hat jeder erst einmal mit sich selbst zu
tun. Die eine kann den Koffer nicht alleine heben – zu groß und zu voll.
Die andere konnte ihre Weltstadt-Frisur nicht zu Ende fönen. Und – oh
Schreck, oh Graus: es fehlt der für Hamburg so wichtige Tidenplan ...
Trotzdem geht es jetzt los! In
Frankfurt warten schon die nächsten MitruderInnen und unsere Flörsheimer
Verstärkung.
Im Zug beruhigen sich die Gemüter und
beim Würfelspiel wird schnell klar: in jeder Runde ein Kniffel, diese
Fahrt steht unter einem Glücksstern.
Hamburg empfängt uns mit Sonnenschein.
Wir beziehen unser Hotel und haben bis zum Abendessen noch Zeit für eine
Stadtrundfahrt. Wir sehen an Land, was sich später vom Wasser aus noch
eindrucksvoller bestätigt: Hamburg ist eine Stadt der Superlative.
Historische Speicher am Hafen, sündige Meilen grenzen an hanseatisch
gediegene Einkaufspassagen, wir staunen über edelste Wohngegenden an der
Alster und erfahren, dass es in keiner anderen deutschen Stadt so viele
Millionäre gibt. Das lässt Damenherzen höher schlagen! Aber: jeder
fünfte Hamburger ist schwul, sagt der Stadtführer. Seufz!
Wir treffen uns zum Abendessen in einem
bekannten Fisch-Spezialitätenrestaurant mit Blick auf den Hafen. Es
schmeckt fantastisch und die abendliche Betriebsamkeit bei Blohm&Voss
drüben auf der Werft, die noch spät einlaufenden Frachter mit
Lotsengespann machen Lust auf Seegang.
Am nächsten Morgen ist es dann so weit:
Aufbruch zum Ruderklub Dresdenia am Osterbek-Kanal, wo wir die Boote
geliehen haben.
Erster Rudertag
(03.06.06)
Vorher aber noch die wichtigste
Zeremonie: Auslosung der Bootsmannschaften. Rudi hat alles vorbereitet
und inzwischen wissen wir, er mogelt. Wie anders lässt sich sonst
erklären, dass er immer mit den attraktivsten Damen in einem Boot fährt?
Wie man hört, soll er sogar bestechlich sein ...
Nachdem dies nun geklärt ist und wir
auch mit den Hamburger U-Bahnplänen zurecht gekommen sind, werden wir
bei der Dresdenia freundlich empfangen.
Unser erstes Aha-Erlebnis. Die
Dresdenia ist ein ehemaliger Damenklub! Man merkt es am
Freizeitprogramm, dessen Schwerpunkt auf Familienrudern liegt, es gibt
zwei (!) Küchen und die Boote heißen nicht nach alt-ehrwürdigen
(männlichen) Klubmitgliedern, sondern tragen lebenskluge plattdütsche
Namen.
"Lot
di tied" (für Nicht-Hanseaten: Lass dir Zeit) und "Kehr di an nix" (frei
übersetzt: Mach dir nichts draus) liegen für uns bereit. Und da kommt
auch schon Hans-Jürgen, Wanderruder-Wart der Dresdenia, der netterweise
als Lotse mit uns rudert.
Wir stechen in See – es ist empfindlich
kalt, der Himmel grau verhangen und es weht eine steife Brise –
Küstenwetter eben.
Schon nach den ersten Metern im
Osterbek-Kanal ist allen klar, hier ist rudertechnische Anpassung
gefragt. Holz-Skulls ohne Gummi-Überzieher und Bootsbreite der
tidentauglichen Gefährte sind gewöhnungsbedürftig.
Aber dann das erste Highlight: die
Außenalster am Samstagmorgen. Ein Stadtpanorama besonderer Güte!
Hans-Jürgen erklärt uns die Kirchtürme und anderen Sehenswürdigkeiten,
die im Halbrund vor uns liegen.
Wir überqueren den welligen See, rudern längs der Uferpromenade, vorbei an Botschaftsgebäuden und
Parkanlagen. Alles blüht und grünt und wir genießen den Anblick. Zwei
renommierte Ruderclubs liegen an unserer Strecke. So machen wir eine "Harmonie"Pause
(Erweiterung des RRK-Wortschatzes) beim RCFH - Ruder-Club Favorite
Hammonia. Hier ist alles vom
Feinsten und wir staunen nicht schlecht.
Weiter geht’s über die Binnenalster,
vorbei am Hotel Vier Jahreszeiten, dem Rathaus und dem Jungfernstieg,
zur Rathausschleuse. In Hamburgs Innenstadt herrscht rege
Betriebsamkeit, vom Rathausmarkt dröhnt die Musik des
Beach-Volleyballplatzes herüber, den man eigens aufgeschüttet hat. Es
geht weiter durch den Kanal unter den Alsterarkaden bis zur
Schaartor-Schleuse und, in Sichtweite des Hafens, hinein in die alte
Speicherstadt. Giebelhäuser aus Backstein zeugen von hamburgischer
Kaufmannstradition und sind noch heute das größte Lager für Kaffee, Tee
und Orientteppiche in Europa. In einem ehemaligen Speicher befindet sich
das Zollmuseum, vor dem ein altes Zollboot schaukelt. Wir befinden uns
hier in Tide-Gewässer. Aber wir haben Glück, es ist Flut und so kommen
wir gut voran. Wir sehen, wo Hamburgs ehrgeizigstes Bauprojekt beginnt,
die HafenCity und gelangen unbehelligt von den gefürchteten
Rundfahrt-Barkassen in die Elbe. Jetzt wird’s anstrengend – gegen Wind
und Wellen rudern wir unter den mächtigen Fluttoren der Sperrwerke
hindurch bis wir die Bille erreichen. Hier ist nicht nur das Wasser
ruhiger, es scheint sogar die Sonne. Von weitem sehen wir die Stadt
liegen, den Michel, den Rathausturm und rudern nun vorbei an ruhigen
Schrebergärten bis zum Biller RC.
Damit ist die erste Ruderstrecke
geschafft, wir haben viele neue Eindrücke gewonnen und wandern müde gen
U-Bahn. Wie war das noch mal? Müssen wir über Barmbek?
Es folgt das Abendprogramm. Altona ist
total angesagt. Beim Aussteigen können wir einen Ruderkameraden gerade
noch davon abhalten, ein paar kurzberockten Flower-Power-Girls zu
folgen, die unterwegs sind zur Hamburger Schlagernacht … Hier geht’s
lang, Rudi, durch Hamburgs "In-Viertel" bis zur alten
Schiffsschrauben-Fabrik, wo jetzt die beste hanseatische Pizza serviert
wird. Woher wir das wissen? Wir haben einen Joker – Sigrids ortskundige
Cousine. Das Ambiente bei "Eisenstein" ist wirklich genial.
Zweiter Rudertag
(04.06.06)
Inzwischen sind wir U-Bahn-Profis.
Mensch Werner, logo müssen wir in Barmbek umsteigen!
Hans-Jürgen wartet schon an der
Endstation und im RV-Bille sind bereits andere Ruderwanderer beim
Einsetzen der Boote. Woher kommt ihr, wohin des Wegs – und gute Fahrt.
Auch wir legen ab und merken, dass die Mannschaften sich inzwischen so
gut an einander und ans Boot gewöhnt haben, dass keiner mehr wechseln
will.
Über die Bille und angrenzende Kanäle
rudern wir gen Elbe. Diesmal GEGEN die Tide. Und es ist immer noch kalt,
grau und vor allem windig. Bevor es gänzlich auf die Elbe rausgeht, wird
nach einem spektakulären Anlegemanöver (Lob an die Steuerleute) eine
Harmoniepause in einem urigen Ponton-Restaurant eingelegt. Hier gibt es
wärmende Getränke mit Rum. Derart gestärkt kreuzen wir die aufgewühlte
Elbe und biegen wieder in die Kanallandschaft der Speicherstadt ein. Die
ist in Ebbe-Stimmung und wir müssen uns kräftig in die Riemen legen. So
haben wir nur wenig Augen für die altehrwürdigen Backsteinbauten und
sind froh, als die Schleuse zum Alsterfleet in Sicht - und damit
ruhigeres Gewässer in Reichweite kommt. Noch zweimal schleusen, dann
haben wir’s geschafft: wir sind in der Binnenalster.
Wir umrunden das neon-blaue Tor aus
Stahlstangen, das die Hamburger hier im Wasser wie vielerorts an Land zu
Ehren der Fußball-Weltmeisterschaft errichtet haben. Doch halt, warum
fährt unser Schwesterboot Backbord daran vorbei? Wir halten uns
Steuerbord und wären fast unter die Alsterfontäne geraten, die in einem
hohen Bogen ihr Wasser spritzt. Im Reitz`schen Boot gibt es eine kleine
Meuterei, denn der Steuermann will nicht abdrehen. Schließlich lässt er
dann doch über Backbord wenden und wir rudern in die Außenalster. Hatten
wir auf ruhiges Wasser gehofft? Auf der Alster tummeln sich die Segler,
denn der Wind weht böig, das Wasser ist aufgewühlt und wir haben Mühe
vorwärts zu kommen. Jetzt täte ein kleiner Halt gut, deshalb legen wir
unter widrigen Umständen beim RC Allemannia an. Noch ein Edelclub mit
Alsterblick.
Es ist aber niemand da, der uns öffnen
kann. Deshalb schweigen wir diskret über die anschließende
Harmonie-Pause ...
Durch raues Wasser geht es weiter über
die Außenalster, vorbei an Vereinshäusern der Segler und am prächtigen
Atlantic-Hotel, wo Udo Lindenberg eine Suite bewohnt. Unser
Hamburg-Lotse lässt uns in den Eilbek-Kanal einbiegen, der als besonders
romantisch gilt. Hier ist es wirklich lauschig, grün bewachsene Ufer zu
beiden Seiten und vor allem: ruhiges Wasser im Sonnenschein. Als das
Fleet sich zum Kuhmühlenteich erweitert, legen wir eine Gedenkminute
ein. Für Christine werden hier Kindheitserinnerungen wach. Da steht die
St.Gertrud-Kirche, in der sie getauft wurde. Es geht weiter in den Kanal
hinein bis er nicht mehr befahrbar ist, dann rudern wir zurück in die
Außenalster. Jetzt noch einmal alle Kräfte mobilisieren und gegen Wind
und Wellen ankämpfen, bis endlich die Einmündung zum Osterbek-Kanal
erreicht ist. Bei der Dresdenia lassen wir unsere Ruderboote und
verabreden uns mit Hans-Jürgen zum Abendessen in einer portugiesischen
Hafenkneipe.
Allabendliche U-Bahnfahrten. Nur zur
Sicherheit: müssen wir in Barmbek ...?
Beim Portugiesen ist ordentlich was los
und die Speisekarte mehrere Seiten lang. Hafenstimmung.
Dritter Rudertag
(05.06.06)
Er lässt sich gut an: bei Sonnenschein
und Windstille legen wir bei der Dresdenia ab und folgen dem Kanal
zunächst in den Stadtparkteich. Wochenendstimmung. Es haben sich schon
einige Picknicker eingefunden, Angler und Modell-Schiffer. Wir rudern
durch die Alsterfleete – es ist herrlich. Grün-bunte Gärten und
gepflegte Anlagen mit eigenem Bootssteg. Es ist wie in einer
Parklandschaft zu Wasser. Als wir in den Rondeel-Teich rudern, kommen
wir aus dem Staunen nicht mehr heraus. Hier können wir sehen, wo die
Reichen und Schönen leben. Ein Anwesen ist prächtiger als das andere.
Weiter geht es über die Fleete durch Winterhude auf den Alsterfluss.
Auch hier können wir uns gar nicht satt sehen an den Schönheiten der
Gegend.
Wir machen eine kurze Rast und fahren
zurück in die Alsterfleete. Inzwischen teilen wir uns das Wasser mit
gemütlich dahinfahrenden Alsterdampfern und jeder Menge
Ausflugspaddlern. Auch einige Ruderboote kreuzen wir. Man merkt: Hamburg
ist eine Wasserstadt. Am und zu Wasser tummeln sich die Wochenendler.
Wir sind mittendrin und genießen die Stimmung.
Mittags legen wir beim "Akademischen
Ruderclub" an und werden wieder einmal überrascht vom hanseatischen
Ambiente: gediegene Clubatmosphäre in Leder. Während wir uns noch
fragen, wie wohl akademisches Rudern geht und wo die Damentoilette ist,
erklären uns zwei adrette Studenten, dass dies ein reiner
Männer-Ruderverein sei. Soso! Glücklicherweise sehen sie es nicht gar so
eng und nehmen uns freundlich auf.
Wir bleiben nicht lange und rudern bald
weiter durch Hamburgs Alsterfleete, bestaunen die "Kehrseiten" der
großbürgerlichen Anwesen und beschließen, wiederzukommen. Was für ein
genialer Tag! Wir haben Hamburg wirklich von allen Seiten kennen
gelernt. Windig-grau mit schwierigen Wasserverhältnissen und sonnig-grün
auf ebenen Wasserstraßen. Unser heutiges Ziel ist Kübis-Bootshaus, ein Muss für
jeden Hamburg-Ruderer. Dort beschließen wir den Nachmittag, bevor wir
endgültig den Rückweg einschlagen und unsere Wanderfahrt in der Dresdenia beenden.
Boote säubern, aufräumen, ein
herzliches Dankeschön an Hans-Jürgen, dann (nicht über Barmbek) zurück
ins Hotel. Die ersten reisen schon am Abend ab, wir anderen gehen noch
einmal typisch Hamburgisch essen. Direkt am Michel versuchen sich alle
an Labskaus – und tatsächlich, es schmeckt! Auch dieses Restaurant
erweist sich als vortrefflich, meiner Tante sei Dank.
Am nächsten Tag haben wir noch Zeit für
Hafenrundfahrt und Einkaufsbummel, dann nehmen wir den Zug Richtung
Frankfurt. Eine wunderschöne Ruderwanderfahrt ist damit zu Ende.
Alle MitfahrerInnen bedanken sich ganz
besonders herzlich bei Rudi und Werner für die supertolle Vorbereitung dieser
Hamburg-Fahrt und die gewohnt verlässliche Durchführung!
Vielen Dank auch allen HelferInnen, speziell
Silvia für die Auskundschaftung günstiger Fahrt- und Hotelkonditionen.
Sigrid und Cousine haben sich um unser leibliches Wohl verdient gemacht.
Vielen herzlichen Dank an Hans-Jürgen
für die orts- und fachkundige sportliche Betreuung in Hamburger
Gewässern, die uns eine große Bereicherung war! Wir bedanken uns bei der
Dresdenia für das Ausleihen der Boote.
Alle MitruderInnen waren eine prima
Runde, gemixt wie wir waren, die Damen mit Herrenbegleitung, die
Rüsselsheimer mit Flörsheimer und Hamburger Verstärkung!
Euch allen ein liebes "Hummel, Hummel!"