Wo sind die Nationalspieler?
Hockeyspieler aus Rüsselsheim, Frankfurt und Limburg werden schon lange
nicht mehr für die deutsche Nationalmannschaft nominiert. Ein Blick
zurück.
Von HELMUT
POPP (aus "Rüsselsheimer Echo" vom 06.02.2018)
Je zwölf
Männer- und Frauen-Nationalmannschaften kämpfen von Mittwoch bis Sonntag
in der Berliner Max-Schmeling-Halle um die Titel des Weltmeisters. Also
vier Tage lang "Indoor-Hockey" nonstop. Der Deutsche Hockey-Bund ist als
Turnier-Veranstalter in die Bresche gesprungen, nachdem der ursprünglich
ausgewählte argentinische Verband verzichtet hatte.
Hockey
unter dem Hallendach hat eine Tradition. Seit 1962 wird jährlich in den
Wintermonaten um den Meistertitel gespielt. Von jeher zählen bei Europa-
oder Weltmeisterschaften die deutschen Teams zum engsten Favoritenkreis.
Dass
darunter weder ein Spieler noch eine Spielerin aus der ehemaligen
hessischen Hockey-Hochburg Rüsselsheim vertreten ist, stellt längst
keine Überraschung mehr dar. Es ist vielmehr zur Normalität geworden.
Was früher undenkbar gewesen wäre. Stand im letzten Viertel des vorigen
Jahrhunderts ein internationales Großereignis an – egal ob auf dem Feld
oder in der Halle –, so war es eine Selbstverständlichkeit, dass die
Trainer sich bei der Kader-Nominierung in Hessen großzügig bedienen
konnten: Der Rüsselsheimer RK, der SC 80 Frankfurt und der Limburger HC
waren erfolgreiche Vereine, die phasenweise das nationale
Hockey-Geschehen dominierten. Und eben großartige Spieler
hervorbrachten, ohne die beispielsweise 1972 in München der Olympiasieg
der Männer-Nationalmannschaft kaum denkbar gewesen wäre.
Mit
Bandscheibenvorfall
Vor 16.000
Zuschauern wurde seinerzeit das Endspiel gegen Pakistan mit 1:0
gewonnen. Die 31 Jahre alte Torwart-Legende Peter Kraus vom
Rüsselsheimer RK hatte seinen Kasten sauber gehalten – trotz eines
akuten Bandscheibenvorfalls, wegen dem er dann auch bald nach dem
Turnier unters Messer musste. In Fritz Schmidt und Rainer
Seifert gehörten zwei weitere waschechte Rüsselsheimer zum Kader des
Olympiasiegers; vom SC 80 Frankfurt waren Wolfgang Baumgart, Horst Dröse
und Detlev Kittstein mit von der Partie. Unvergessene Namen, die noch
heute jeden Kenner der Hockey-Szene mit der Zunge schnalzen lassen. Fast
46 Jahre ist dies nun her. Trotz des großen Erfolges war damals mit
diesem Sport kein Geld zu verdienen. So erinnert sich auch Rainer
Seifert noch heute an einen Spruch, der 1972 im Kreise der deutschen
Olympioniken die Runde gemacht haben soll: "Unsere Hockeyspieler und die
Pferde – das sind hier in München die einzigen lupenreinen Amateure."
Die
Torhüter Tobias Frank, Christopher Reitz und Nicolas
Jacobi waren später weitere RRK-Akteure, die bei Olympischen Spielen
die deutschen Farben vertraten. Für Alfred Segner hat es dagegen
nicht gelangt. Der war zwar 1980 aus dem Nationalteam nicht wegzudenken,
schaute aber wegen des von der Politik verordneten Moskau-Boykotts in
die Röhre. Was Segner, der mittlerweile als stellvertretender
Vorsitzender des Rüsselsheimer Sportbundes die Funktionärslaufbahn
eingeschlagen hat, noch heute mächtig wurmt. Vollblutstürmer und
Torjäger Oliver Domke avancierte noch nach der Jahrtausendwende
zu einem weiteren Aushängeschild des Rüsselsheimer Hockeyvereins. 2002
war es Domke, der Deutschland in Kuala Lumpur mit seinem 2:1-Siegtor im
Finale gegen Australien zum Weltmeistertitel schoss. Und nicht zu
vergessen Stefan Blöcher, der für den SC 80 Frankfurt spielte und zu den
Weltbesten seiner Zunft gehörte, 1984 und 1988 Olympia-Zweiter sowie
1982 Vize-Weltmeister wurde.
Europacup-Sieg 2009
1968, also
vor genau 50 Jahren, feierten die Rüsselsheimer Hockey-Männer durch ein
4:1 gegen Schwarz-Weiß Köln den ersten deutschen Feld-Titel. Die
Opelstadt stand damals kopf. Acht weitere DM-Gewinne (jeweils vier in
Feld und Halle) sollten folgen. Letzter Höhepunkt war im Februar 2009 in
der heimischen Großsporthalle der Sieg beim Hallen-Europacup (3:2 nach
Verlängerung gegen Club de Campo Madrid).
Danach ging
es jedoch schnell bergab. Drei Abstiege in Serie folgten: Erst aus der
Feld-Bundesliga, dann aus dem Oberhaus in der Halle und prompt auch noch
im Feld aus der zweiten Liga. Dort ist der Ruderklub heute in der
drittklassigen Regionalliga Süd unterwegs. Unter dem Dach wurde aktuell
gerade so der Klassenerhalt in Liga zwei geschafft.
Aber schon
vor neun Jahren, beim bislang letzten großen Triumph, hatten die
Rüsselsheimer Frauen den Männern eigentlich längst den Rang abgelaufen.
Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre waren jene von Trainer Berti
Rauth praktisch aus dem Nichts an die Spitze katapultiert worden.
Sechsmal deutscher Feld- und neunmal deutscher Hallenmeister waren die
Rüsselsheimerinnen zwischen 1990 und 2005 geworden, quasi im Abonnement
stand zu dieser Zeit der Hallen-Europacup in der Vereinsvitrine im
Bootshaus. Britta Becker (231 Länderspiele) mutierte zur
Rüsselsheimer Hockey-Ikone, die zudem ihre Sportart bundesweit auch noch
für den Boulevard interessant werden ließ. Als die deutschen Damen 2004
in Athen überraschend die Goldmedaille gewannen, war Becker allerdings
nicht mehr aktiv. Dafür in Mandy Haase, Denise Klecker und
Silke Müller drei andere Spielerinnen des RRK.
Und heute?
Da sind die Rüsselsheimer Frauen mit ihrem jungen Trainer Norman Hahl im
Feld nur noch Zweitligist, dürfen aber als derzeitiger Spitzenreiter im
Frühsommer auf die Rückkehr ins Oberhaus hoffen. In der Halle erlebte
das um Ex-Nationalspielerin Eva Frank aufgebaute "Team der Jungen
und Namenlosen" nun mal wieder einen Höhepunkt, als der Einzug ins
DM-Viertelfinale geschafft wurde. Beim 3:9 gegen den Hamburger Club an
der Alster war man jedoch chancenlos.
Die
Hockeyspieler aus der Opelstadt müssen also seit einiger Zeit kleinere
Brötchen backen. Die Musik spielt längst in den Metropolen Hamburg, Köln
oder Mannheim. Nicht mehr in der hessischen Provinz. Dort hatte nämlich
der örtliche Autobauer als großzügiger Sponsor den Geldhahn irgendwann
zugedreht. "Während bei uns also damals einiges weggebrochen ist, haben
andere Vereine ihr Sponsoring verbessern können und sind uns enteilt",
erklärt der langjährige RRK-Hockey-Chef Martin Müller. Damit
einhergehend sei die zuvor vorbildliche Jugendarbeit ins Stocken
geraten. Beim Nachwuchs habe man folglich auch "etwas an Attraktivität
verloren".
Ein Wunder,
dass der Rüsselsheimer Ruder-Klub trotzdem so lange auf einem derart
hohen Niveau weiter agieren konnte. Finanziell ist man nach wie vor
nicht auf Rosen gebettet. Der Spielbetrieb in der Bundesliga ist
kostenintensiv. Mit vielen Kleinsponsoren und relativ hohen
Mitgliedsbeiträgen hält man sich über Wasser.
Peter Kraus
schwärmt derweil von vergangenen Zeiten. Bei den Spielen am Sommerdamm
oder in der Sporthalle Dicker Busch lässt sich der inzwischen 76-jährige
Olympia-Held von 1972 immer mal wieder blicken, um die Daumen zu
drücken. "Seinem RRK" ist er nach wie vor innig verbunden. Eines macht
ihm allerdings doch etwas zu schaffen: Die Enkeltochter Anna (18) ist im
vergangenen Jahr nach Meinungsverschiedenheiten mit ihrer Trainerin von
Rüsselsheim zum Hessenrivalen Eintracht Frankfurt gewechselt. |