Berti Rauth, der bisweilen am Spielfeldrand so hart sein kann, hat unter
seiner rauhen Schale offenbar einen ganz weichen Kern. Als die Rüsselsheimer
Walter-Köbel-Halle nach der Ehrung für die Damen des Berliner HC als 39.
Deutscher Meister den Abschied für Britta Becker vom Rüsselsheimer RK
zelebriert, brechen bei ihrem langjährigen Trainer und Mentor alle Dämme.
Er schlägt die Hände vors Gesicht, Tränen rollen ihm über die Wange.
"Dass ich so reagieren würde, hätte ich selbst nicht geglaubt. Aber
das war alles so ergreifend, dass ich gar nicht anders konnte", erklärt
Rauth später.
Wie
ihm, dem Bundestrainer, dürfte es vielen in diesem oder den folgenden
Momenten gegangen sein. Mit Britta Becker verlässt schließlich in
wenigen Tagen nicht nur eine Ausnahmespielerin den Rüsselsheimer
Ruder-Klub, sondern auch ein Mensch, auf den die häufig benutzte und
ebenso häufig missbrauchte Bezeichnung "Vorbild" passt.
"Sie hat menschlich ihren Weg gemacht", sagt Rauth. So etwas prägt
auch andere: Dass der RRK künftig das Trikot mit der Rückennummer 12 so
bald nicht mehr vergeben will, ist mehr als ein Beleg dafür, welch große
Lücke Brittas Wechsel zum Großflottbeker THGC reißt.
Folgerichtig ließ der Verein seine Vorzeigefrau nach 18 Jahren nicht
sang- und klanglos gehen. Besonders herzlich ging es am Abend nach der
Endrunde zur Sache: Der Klub, ihre Teamkolleginnen und Freunde bereiteten
der Nationalspielerin einen Abschied, der gänsehautverdächtig war.
Im
VIP-Bereich der Köbel-Halle, in dem der RRK seinem Aushängeschild eine
Abschiedsparty bereitete, drängten sich viele, die der Ausnahmespielerin
noch einmal ihre Referenz erweisen wollten. Fast alle kamen, und Britta
Becker ertrug es mit Rührung und Würde, obgleich es bisweilen den
Anschein hatte, als ob es für sie bisweilen ein bisschen zu viel des
Guten war. "So viel Ehre für mich, das hatte ich nicht erwartet.
Denn es ist dies doch nicht mein Erfolg gewesen, sondern der des ganzen
Teams. Aber es ist einfach wunderschön", so Becker.
Zuvor hatten diverse Honoratioren kurze Reden gehalten und Geschenke überreicht.
Rüsselsheims Oberbürgermeister Stefan Gieltowski übergab ein Buch mit
dem Titel "Emotionen", weil ihre Leidenschaft für den Sport
schließlich auch etwas mit Gefühl und Seele zu tun habe. Dieter
Nachtigall, Leiter des Sportamtes, hatte symbolträchtige Dinge
mitgebracht. Einen Regenschirm, weil er aus eigener Erfahrung - eine
Tochter lebt in Hamburg - um die häufigen Regentage weiß, und dazu ein
Modellflugzeug aus der Lufthansaflotte, das, auf den Namen "Rüsselsheim"
getauft, ihr immer wieder den Weg nach Hause weisen solle. Klubpräsident
Dietmar Klausen hatte seinen Worten der Würdigung einen Blumenstrauß
angefügt. Und DHB-Präsident Dr. Christoph Wüterich erinnerte daran,
dass manchen im RRK vor 20 Jahren die Schweißperlen auf der Stirn
gestanden hätten, als Berti Rauth seinerzeit mit Training im bis dahin
beim Rüsselsheimer Traditionsclub verwaisten weiblichen Bereich begonnen
habe, von den vielen Erfolgen ganz zu schweigen. Für den DHB, so Wüterich,
sei dieser Tag indes viel weniger wehmütig, da Britta dem Verband ja
erhalten bleibe.
Keine
Frage, der RRK verliert viel, wenn Britta Becker Ende Februar nach dem 11.
Europacupturnier der Hallen-Landesmeister endgültig gen Hamburg zieht, wo
sie schon seit Herbst vergangenen Jahres mit Ehemann Johannes B. Kerner
und Tochter Emily lebt.
Mit
der 26-Jährigen verlässt jemand den Verein, der wie kaum eine andere
Spielerin für die Erfolge im Damenhockey steht, ja Klubgeschichte
geschrieben hat. Was hat sie nicht alles erreicht im Trikot ihres RRK, mit
einer Ausnahme - dem DHB-Pokal - sämtliche Titel abgeräumt, die national
wie international für Vereinsmannschaften ausgelobt werden.
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"Jede Technik, die beherrschst Du, Hockey ist ein Teil von Dir. Alle
spielen mit dem Herzen, und ganz oben steht das Wir. Britta, schade dass
du gehst!" Aus dem Abschiedssong der RRK-Damenmannschaft, der in
einem professionellen Tonstudio aufgenommen wurde. |
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Tanja
Dickenscheid, Berti Rauth, Britta Becker, Friederike Barth |
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Britta
Becker mit ihren jugendlichen Hockeyfans vor einer großen
Bilderwand |
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Sollte Ende Februar in Cambrai der Europapokal abermals verteidigt werden,
wäre es der 21. stattliche Erfolg seit 1990. Das hätte sich Britta
Becker nie träumen lassen. "Wenn mir damals jemand gesagt hätte,
dass ich 'mal Europacup-Siegerin werden würde, hätte ich ihn
ausgelacht", sagt sie. Und dann: "Das Team", sagt sie,
"das Team ist spitze. Ich bin stolz, dass wir das alles geschafft
haben." So spricht jemand, dem der Erfolg nicht zu Kopf gestiegen
ist.
Wie hieß noch die Passage im Song ihrer Teamkolleginnen? "Alle
spielen mit dem Herzen, und ganz oben stehen Wir." "Wir"
meint: Wenn Britta Becker jetzt wechselt, dann wird immer ein Teil von ihr
in Rüsselsheim bleiben. Obwohl sie beim Großflottbeker THGC, ihrem neuen
Verein, schon jetzt herzlich aufgenommen wurde. "Meine Mannschaft
wird immer der RRK bleiben und wird mir fehlen. Und schon allein wegen
meiner Familie werde ich immer wieder gerne nach Rüsselsheim
kommen."
Doch
als der eigens komponierte Abschiedssong ein weiteres Mal erklang, den
ihre Teamkameradinnen im Tonstudio eines Profimusikers aufgenommen hatten,
musste auch Britta Becker wieder zum Taschentuch greifen. Textprobe:
"Jede Technik, die beherrschst Du, Hockey ist ein Teil von Dir. Alle
spielen mit dem Herzen, und ganz oben steht das Wir. Britta, schade dass
du gehst!" Keine Frage, das war mehr als eine übliche
Abschiedsfeier. |