Was macht eigentlich ...?
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Über Mitglieder des
RRK (2003)
Steffen Kerkmann |
Ruder gegen Rad getauscht
WM-Dritter Steffen Kerkmann hat seit
20 Jahren kein Boot mehr betreten
Von Andrea Duphorn
(aus "Main-Spitze" vom 22.11.2003)
RAUNHEIM
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Das Wohnzimmer ist fest in Kinderhand. Begeistert tobt der zwei
Jahre alte Max auf dem Sofa herum. "Guck mal, ich kann schon auf einem Bein
hüpfen!", kräht er fröhlich. Die sechs Monate alte Kira liegt bäuchlings auf der
roten Decke, die die Eltern auf dem Boden ausgebreitet haben, verfolgt mit
wachem Blick das ausgelassene Treiben ihres großen Bruders. Steffen Kerkmann
quittiert es mit einem Lächeln. In Jogginghose und T-Shirt bekleidet lässt sich
der Papa am Esstisch nieder. Sieben HM-Titel sowie ein erster Platz, zweite und
dritte Plätze bei deutschen Meisterschaften hat der ehemalige Ruderer des
Rüsselsheimer RK Ende der 70-er, Anfang der 80-er gesammelt
–
und sich als
WM-Dritter vom Leistungssport verabschiedet.
Das Poster mit dem Schlauchboot paddelnden Snoopy über der Couch ist so ziemlich
das Einzige, was sich in dem kleinen Einfamilienhaus unweit des Raunheimer
Bahnhofs mit der sportlichen Vergangenheit des zweifachen Familienvaters in
Verbindung bringen lässt. "Es gibt nur noch wenige Erinnerungen und Kontakte aus
dieser Zeit", sagt Steffen Kerkmann.
Zur Person
ڤ Name: Steffen Kerkmann
ڤ Geburtstag (am/in): 1. März 1961 in Rüsselsheim
ڤ Familienstand: Verheiratet, zwei Kinder (Max/zwei Jahre,
Kira/sechs Monate)
ڤ Beruf: Freischaffender Software-Spezialist
ڤ Sportliche Erfolge: Sieben HM-Titel; ein erster DM-Platz, zweite und
dritte DM-Plätze im Vierer und Achter; Bronze bei der B-WM 1983 im Vierer
mit Stm.
ڤ Hobbys: Familie, Rad fahren |
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Mehr als 20 Jahre ist es inzwischen her, dass der gebürtige Rüsselsheimer
zuletzt ein Ruder in der Hand hatte. "Nach der B-Weltmeisterschaft 1983 im
norditalienischen Candia habe ich nie wieder einen Fuß in ein Boot gesetzt",
erzählt er. "Ich habe aufgehört und alles verdrängt. Unser Trainer Klaus Köppen
hatte die Vision, die Rüsselsheimer Renngemeinschaft als Deutschland-Achter zu
den Olympischen Spielen nach Los Angeles zu bringen. Aber dazu hätten wir das
Trainingspensum noch einmal stark erhöhen müssen, und das wäre mir definitiv zu
viel gewesen."
Kerkmann hat sich stattdessen in Darmstadt ein Zimmer in einer WG gesucht und
begonnen, Elektrotechnik zu studieren. Sein Vordiplom hatte er 1986 nach sechs
Semestern als einer der ersten in der Tasche. "Danach habe ich fast zwei Jahre
lang nichts gemacht", sagt er. "Ich habe gejobbt, war Monate lang in
Griechenland unterwegs, habe Pakete ausgefahren, frei nach dem Motto, lass dir
Zeit, genieße das Leben, in den Tag hinein gelebt, meine Jugend exzessiv
nachgeholt."
Alle in einem Boot:
Im Vierer mit Steuermann des RRK feierte Steffen Kerkmann (links) 1983
seinen größten Erfolg als Ruderer. Nach dem Gewinn des Eichkranzes
(Deutsche Meisterschaft der Ruderer bis 23 Jahre) im Vierer mit Stm. wird
er mit dem RRK-Vierer im norditalienischen Candia Dritter der
Weltmeisterschaft dieser Altersklasse (Steffen Kerkmann, Achim Erhard,
Harald Blum, Lutz Beyer und Stm. Thomas Alt, nicht im Bild) |
Ein "völlig emotionaler Anfall" seiner Mutter sei der Grund dafür gewesen, dass
der bis dahin sportlich nicht aktive Junge im Alter von 16 Jahren beim Rudern
landete. "Der Hit war das nie", sagt der 42-Jährige heute. "Ich war damals noch
sehr jung, wusste nicht, was ich wollte und was nicht. Meine Eltern haben mich
zum Rudern gesteckt, und ich hab's einfach getan. Mit Überzeugung war ich nie
dabei." Dennoch heimste der älteste von drei Brüdern in den Riemenbooten des RRK
zwischen 1978 und '83 sieben Hessenmeistertitel ein, trainierte am Ende 15 bis
20 Stunden die Woche, wurde in den B-Kader des Deutschen Ruder-Verbands berufen
und stand in Renngemeinschaft mit Athleten aus Frankfurter und Mainzer Vereinen
bei deutschen Meisterschaften regelmäßig auf dem Podest. Die "ewige RRK-Bestenliste" weist Kerkmann noch heute mit 55 Siegen auf Rang 14 aus
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elf
Plätze hinter seinem 18 Jahre jüngeren Bruder Lars.
Seit 1997 lebt er wieder in Raunheim. Als das Haus neben dem der Eltern zum
Verkauf stand, hat er nicht lange überlegt und zugeschlagen. Als freischaffender
Softwarespezialist entwickelt er seit acht Jahren Redaktionssysteme zur
Herstellung von Fachzeitschriften wie "DM-Euro" oder "Stiftung Warentest".
Leicht sei es ihm nicht gefallen, nach seiner Auszeit wieder ins Studium
zurückzufinden, erzählt er. Die Selbstdisziplin, die er sich beim Rudern
angeeignet habe, um die Sache durchzuziehen, habe ihm dabei geholfen. "Als ich
dann Anfang 1993 mit dem Studium fertig war, hatte ich es schwer, einen Job zu
finden. Nach dem Mauerfall war der Markt einfach zu."
Inzwischen hat er sein Auskommen gefunden, das Büro in seinem früheren
Kinderzimmer eingerichtet und findet so zwischendurch oft noch Zeit, mit Kira
und Max zu spielen. "Beim Software-Entwickeln kommt's auf das Ergebnis an, und
nicht auf die Zeit, die man dafür braucht", erklärt er.
Auch sportlich ist Kerkmann wieder aktiv. "In dem Jahr, in dem ich 40 geworden
bin, habe ich angefangen, fast exzessiv Rad zu fahren", berichtet er. "Da war
ich ziemlich unförmig, habe am Tag etwa eineinhalb Päckchen Zigaretten geraucht,
abends Bier getrunken und irgendwann gedacht: So geht man vor die Hunde ..." Seit
er bis zu vier Mal in der Woche ein bis zwei Stunden mit dem Mountainbike durch
Wald und Wiesen strampelt, fühlt er sich besser. "Das Quälen macht mir Spaß",
sagt er.
Konkrete Pläne für seine Zukunft hat er nicht. "Bis die Kinder aus dem Haus
sind, so vor sich hin leben und schauen, was sich ergibt, vielleicht kommt ja
auch ein Lottogewinn?", zählt er augenzwinkernd auf. Ob Max oder Kira sportlich
mal in seine Fußstapfen treten werden? Steffen Kerkmann lacht. "Wer weiß? Meine
Mutter sagt jedenfalls hin und wieder: 'Der Max wird mal Ruderer.'"
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