Am Wochenende droht Silke Müller
ein zweifelhaftes Vergnügen: Beim Hallen-Europacup der Damen könnte die deutsche
Nationalspielerin, seit September beim holländischen Hallenmeister SV Kampong
Utrecht aktiv, auf ihren bisherigen Verein Rüsselsheimer RK treffen. Mit dem
Seriensieger RRK gewann die 27 Jahre alte, quirlige Angreiferin Müller vier Mal
den Hallen-Europacup.
Echo: Wie groß sind die
Chancen, dass Rüsselsheim zum 13. Mal in Folge den Europacup gewinnt?
Silke Müller: (Lachend) tolle Frage.
Da ist er schon, der erste Zwiespalt. Natürlich halte ich die Chance für sehr
groß. In den letzten Jahren war in der Halle keine deutsche Mannschaft zu
schlagen. Ich bin da echt in der Zwickmühle. Einerseits wünsche ich mir, dass
der RRK gewinnt. Andererseits will ich aber auch mit Kampong so weit wie möglich
kommen.
ECHO: Also mindestens ins Finale?
Müller: Ich gehe einfach mal davon
aus.
ECHO: Wie stark ist Ihr Team
einzuschätzen?
Müller: Ich weiß gar nicht, ob das in
Deutschland jemand mitbekommen hat, aber Lina (Anmerkung der Redaktion: Gemeint
ist Lina Beier, früher Berliner HC) und ich sind gerade holländischer
Hallenmeister geworden. Damit haben wir noch einmal viel Selbstvertrauen
getankt.
ECHO: Reicht das, um Rüsselsheim
Paroli bieten zu können?
Müller: Es ist schwer einzuschätzen,
was noch in der Mannschaft steckt. Das Endspiel gegen Den Bosch haben wir
jedenfalls mit 4:1 gewonnen. Beim Europacup müssen wir allerdings noch eine
Schippe drauflegen. Da wird alles noch eine Ecke schneller und härter. Ich bin
selbst gespannt, ob wir unsere Leistung noch ausbauen können.
ECHO: Machen Sie sich Gedanken
darüber, mit Kampong womöglich die Rüsselsheimer Serie zu beenden?
Müller: Nö. Ich möchte sie ja nicht
beenden.
ECHO: Wie? Überlegen sie etwa,
nicht mitzuspielen?
Müller: Anfangs habe ich das
tatsächlich erwogen. Das ist ja auch irgendwie komisch. Rüsselsheim ist mein
Verein. Dann habe ich mir aber gesagt: Ich liebe die Halle, und nun bin ich mal
hier, also gebe ich auch Gas für diesen Verein. Klar wird das komisch, gegen
meine Mädels zu spielen. Aber nun stehe ich halt nicht auf deutscher, sondern
auf holländischer Seite.
ECHO: Welchen Stand hat
Hallenhockey in Holland?
Müller: Die Zuschauerresonanz beim
Meisterschaftsfinale – es war eine Doppelveranstaltung – war schon toll. Da
waren bestimmt 1000 Leute. Offiziell wird Hallenhockey jedoch immer noch als
Zeitvertreib dargestellt. Mit der Europameisterschaft ist kürzlich der
holländische Ehrgeiz neu entfacht worden. Die holländischen Damen waren ja fest
davon überzeugt, uns Deutsche knacken zu können.
ECHO: Niemand kennt die
Rüsselsheimer Spielweise besser als Sie. Wie groß wird Ihr Anteil in der
Spielvorbereitung sein, um Rüsselsheim endlich zu schlagen?
Müller: Was Rüsselsheim betrifft,
haben wir uns bislang noch gar keinen Kopf gemacht. Wir sind ja in der anderen
Gruppe. Somit können wir frühestens im Halbfinale aufeinander treffen. Ich werde
jedenfalls, wenn es so weit ist, versuchen, mich als Informant zu drücken. Ich
hoffe darauf, dass wir Videos haben und die Trainer mich umgehen. Noch schiebe
ich das alles von mir weg. Aber komisch ist es schon.
"Sicher kein Spiel wie jedes
andere"
Das Gespräch führte Martin Krieger (aus "Main-Spitze" vom 24.02.2006)
An diesem Wochenende könnte es
unweit von Barcelona beim 17. Hallenhockey-Europapokalturnier der Landesmeister
zu einem brisanten Aufeinandertreffen kommen. Titelverteidiger Rüsselsheimer RK
muss damit rechnen, dass ausgerechnet die langjährige Mitspielerin und
Olympiasiegerin Silke Müller (27) im Trikot des SV Kampong Utrecht den 15.
RRK-Titeltriumph vereiteln könnte.
Seitenwechsel: Silke Müller
(rechts), hier vor Jahresfrist in Prag im RRK-Dress beim finalen 2:0-Sieg
über Ritm Grodno, tritt diesmal für SV Kampong Utrecht in Aktion. |
Frage: Am Sonntag wird ab 13 Uhr in Sant Cugat del Valles der 17.
Europacupsieger ermittelt. Wer bestreitet das Finale?
Müller: Natürlich möchte jetzt jeder
RRK - Kampong lesen. Dafür müssen wir aber erst einmal unsere Gruppengegner und
vor allem Grodno hinter uns lassen. Ob uns das vielleicht sogar gelingen wird,
kann ich jetzt nicht sagen. Lassen wir uns überraschen ...
Frage: Sie sind im September vom
RRK zum SV Kampong Utrecht gewechselt. War Ihnen damals schon bewusst, dass Sie
so schnell den Schläger gegen Ihre bisherigen Mitspielerinnen schwingen müssen?
Müller: Mein Entschluss, nach Holland
zu gehen, war damals ja ziemlich spontan. Ich habe demnach zunächst einmal nur
an die Feldsaison gedacht. Die Halle war noch so weit weg, dass ich erst mal
alles auf mich zukommen lassen wollte. Dann habe ich lange hin und her überlegt,
ob ich überhaupt spiele. Auch meine kurzzeitige Überlegung, doch für den RRK zu
spielen, wurde aufgrund der in Deutschland überpräzisen Wechselfristen und der
schweren Zeiteinteilung schnell wieder verworfen. Außerdem spielt sich mein
Leben momentan nun mal in Utrecht ab. Und, ich bin eben ein Hallenspieler und
einfach zu "vernarrt" um ganz darauf zu verzichten.
Frage: Wenn es am Wochenende zu
einem Aufeinandertreffen mit Titelverteidiger und Seriengewinner RRK kommen
sollte, kann das für Sie dann ein Spiel wie jedes andere sein?
Müller: Sollte es so kommen, dann
wird das ganz sicher kein Spiel wie jedes andere sein. Es wird mit Sicherheit
ein ganz komisches Gefühl, in einem anderen Trikot auf der anderen Seite des
Feldes zu stehen. Das ging mir in der Tat auch in den vergangenen Wochen
mehrmals durch den Kopf, und man versucht, sich ein bisschen darauf
einzustellen. Aber so ist nun mal der Sport. Man darf die ganze Sache aber auch
nicht zu eng sehen. Ich habe mich dieses Jahr für Kampong entschieden und werde
auch da versuchen, mein Bestes zu geben. Mit einer anderen Einstellung dürfte
ich erst gar nicht antreten.
Frage: Der SV Kampong ist wieder
holländischer Meister geworden und hat in der EM-Vorbereitung auch das
niederländische Nationalteam besiegt. Wie stehen die Chancen in der
vergleichsweise schweren Vorrundengruppe B?
Noch mit "Silke", Deutscher
Hallenhockey-Meister 2005, die Damen des RRK
(hinten: Physio
Hanne Zöller,
Betreuer Thomas Blivier,
Mandy Haase,
Irene Balek,
Lisa Jacobi, Lena
Jacobi,
Sybille Breivogel,
Trainer Berti Rauth; vorn: Silke Müller, Nina
Günther,
Lydia Haase,
Denise Klecker, Barbara Vogel,
Lena Schüder,
Sabine Hieronimi) |
Müller: Wenn ich es jetzt mal aus der
Perspektive des Außenseiters betrachte, dann ist es egal ob man den RRK oder
Grodno in seiner Gruppe hat, ohne die anderen dabei zu vergessen. Schwierig wird
es allemal. Ich kann die Situation momentan noch gar nicht einschätzen und bin
gespannt, zu welchem Sprung das Team in der Lage ist. Im jetzigen holländischen
Finale haben wir durch eine geschlossene Teamleistung Den Bosch
(Europacup-Seriensieger im Freien) keine Chance gelassen. Aber was nun passiert,
keine Ahnung. Nach dem ersten Spiel wissen wir mehr.
Frage: Der RRK hat keine
Möglichkeit mehr, seinen DM-Titel zu verteidigen und tritt folglich auch vorerst
zum letzten Mal europäisch in Erscheinung. Haben Sie ein schlechtes Gewissen,
dass Sie nach Utrecht gewechselt sind?
Müller: Es ist schon ein trauriger
und auch komischer Moment, wenn man realisiert, dass dieses sensationelle Serie
auf einmal abreißt. Und ich selbst finde es unheimlich schade und traurig, dass
es dieses Jahr nicht geklappt hat. Die letzten Jahre waren einfach unglaublich.
Auch wenn man sich den Erfolg immer wieder hart erarbeitet hat, ein bisschen
erfolgsverwöhnt wird man schon. Aber irgendwann reißt jede Serie einmal. Das
bedeutet aber nicht gleich das Ende. Deshalb habe ich auch kein schlechtes
Gewissen. Ich persönlich habe den Mädels auch in der aktuellen Konstellation
einiges zugetraut. Und wer weiß, vielleicht hätte es auch mit uns drei "Oldies"
nicht gereicht. Solche "Abgänge" sind sicher nicht einfach, aber es gibt auch
anderen, gerade den Jüngeren, die Chance, sich zu entwickeln. Und davon lebt der
RRK.
Frage: Wie lebt es sich in Holland
und was tut sich beruflich?
Müller: Ich muss sagen, dass es sich
in Holland ganz gut lebt - sieht man davon ab, das im Allgemeinen das Essen der
momentanen Wetterlage gleicht. Aber da kann man sich ja helfen. Käse- und
Lakritzliebhaber fühlen sich hier sofort wie im Schlaraffenland. Die Leute hier
sind zu Beginn manchmal etwas reserviert, aber doch meistens offen und
freundlich. Vor allem wenn sie merken, dass jemand gerne ihre Sprache spricht.
Man wird dann öfter mal Anni Friesinger genannt, obwohl wir nicht mal den Akzent
gemeinsam haben ...
Was das Hockey und dessen Stellenwert
angeht, sind das hier ganz andere Dimensionen. Ich glaube, die wissen gar nicht,
wie gut es ihnen geht. Mein Praktikum beim Regionalsender RTV Utrecht läuft noch
immer, und ich habe gerade in den letzten Wochen beruflich aber auch persönlich
unheimlich viel dazugelernt. Am 6. März kommt mein erster und wirklich selbst
zusammengestellter Beitrag auf Sendung. Thema ist natürlich "Hallenhockey und
Winterstop in Holland". Winterstop wird hier die Zeit zwischen den beiden
Feldspielhälften genannt. Es ist zwar nur ein kleiner Beitrag, aber ich bin
schon total aufgeregt und gespannt.
Frage: Wissen Sie schon, wie lange
Sie fortbleiben werden und ob es definitiv nur ein Zurück zum RRK gibt?
Müller: Oh, das ist schwierig. Ich
halte momentan noch an meinem Plan fest, zurückzukommen. Und dann am liebsten
natürlich zum RRK. Die letzten Monate sind jedoch wie in Windeseile vergangen,
und natürlich hängt es auch von meiner beruflichen Zukunft ab. Sollte sich etwas
ändern, werden die entsprechenden Personen es zuerst erfahren.
Frage: Mal angenommen, Sie
schießen am Wochenende im Halbfinale oder Endspiel das entscheidende Tor gegen
den RRK. Glauben Sie, dass Sie auch dann noch zurückkommen dürften?
Müller: Haha, dazu muss schon viel
passieren. Sollte es dennoch geschehen, dann hoffe ich natürlich nicht, dass mir
die Entscheidung zurückzukehren so quasi abgenommen wird.