Von Heiko
Weissinger (aus "Main-Spitze" vom 18.02.2023)
Spieler, Trainer,
Jugendleiter, Spielausschussvorsitzender, stellvertretender Kreisfußballwart,
Kreisfußballwart, Regionalbeauftragter für Darmstadt: Robert Neubauer (67) ist
seit sechs Jahrzehnten mit der schönsten Nebensache der Welt in
unterschiedlichen Funktionen beschäftigt. Seit 1. Februar ist er
Verbandsfußballwart des Hessischen Fußball-Verbandes (HFV). Im Interview spricht
er über die neue Aufgabe, Gewalt auf Sportplätzen, das Schiedsrichterwesen und
Pilotprojekte wie Gehfußball, Trainerpass und Zeitstrafen.
Herr Neubauer,
Sie sind jetzt eine gute Woche im Amt. Was hat Sie in dieser Zeit überrascht?
Die Überraschungen
haben sich stark in Grenzen gehalten, weil ich mit einem Großteil des
Aufgabengebiets durch meine Funktion als Regionalbeauftragter für Darmstadt
bereits vertraut war. Aber ich war sehr überrascht, wie gut und eng von Anfang
an die Zusammenarbeit mit den hauptamtlichen Mitarbeitern der
HFV-Geschäftsstelle in Frankfurt war und der Rückhalt innerhalb des
Verbandsspielausschusses.
Sie sind 67
Jahre alt, warum haben Sie sich dieser großen Aufgabe noch einmal gestellt?
Es ist ja kein
Geheimnis, dass es nach dem Rücktritt des Präsidenten Stefan Reuß zu erheblichen
personellen Diskussionen innerhalb des HFV kam. Mein Vorgänger Torsten Bastian
hat seinen Rücktritt erklärt. Als die Nachfrage aus dem Präsidium kam, ob ich
mir die Aufgabe des Verbandsfußballwarts vorstellen kann, und ich mit den
Vertretern der Regionen abgestimmt habe, ob sie sich eine Zusammenarbeit mit mir
vorstellen könnten, gab es Signale, dass man mich unterstützen würde. Deshalb
habe ich gerne zugesagt.
Ihre Frau war
einverstanden, dass sie als "Rentner" jetzt ein so zeitintensives Ehrenamt
bekleiden?
Zur Person
Robert Neubauer war von 2008 bis 2020 Groß-Gerauer
Kreisfußballwart. Im Anschluss wurde er Regionalbeauftragter für Darmstadt,
ehe er zum 1. Februar das Amt des Verbandsfußballwarts des Hessischen
Fußball-Verbandes (HFV) übernahm. Der 67-Jährige wurde in Walldorf geboren
und ist seit 1966 Rüsselsheimer. Der Diplom-Sozialpädagoge, der von 2001 bis
zu seiner Pensionierung 2018 das Rüsselsheimer Sportamt leitete, wurde
fußballerisch beim SV Alemannia Königstädten groß. Dort wirkte er mehr als
vier Jahrzehnte als Spieler, Trainer, Jugendleiter und
Spielausschussvorsitzender. |
Sie hat einen
Fußballinteressierten kennengelernt, und Sport hat im Familienleben immer eine
große Rolle gespielt. Es ist auch wichtig, dass man weiter engagiert ist, wenn
man die berufliche Tätigkeit verlassen hat. Dies wird von uns beiden gelebt.
Aber ich weiß nicht, ob wir rein vom Aufgabengebiet den Verbandsfußballwart noch
sehr lange ehrenamtlich arbeiten lassen können.
Wie sieht das
Aufgabengebiet eines Verbandsfußballwarts aus?
Das Aufgabengebiet
charakterisiert sehr gut meine offizielle Bezeichnung als Vorsitzender des
Verbandsausschusses für Spielbetrieb und Fußballentwicklung. Im Bereich
Spielbetrieb habe ich beispielsweise die Klassenleitung der Hessenliga, berate
hinsichtlich Fragen wie Spielgemeinschaften und kümmere mich aktuell um den
Rahmenterminplan der Saison 2023/24. Außerdem bin ich Vorsitzender der
Spielkommission der Regionalliga Südwest.
Und der Bereich
Fußballentwicklung?
Da haben wir seit
vier, fünf Monaten eine Projektgruppe, die sich den Spielbetrieb in Hessen
anschaut, um Entwicklungen wie Mannschaftsrückzüge oder weniger Anmeldungen von
Kindern und Jugendlichen zu analysieren und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie wir
daraus resultierenden Problemen entgegensteuern können. Es ist klar, dass wir in
den oberen hessischen Klassen immer gut aufgestellt sein werden, aber große
Sorgen bereitet uns der zunehmende Rückgang der Mannschaftszahlen in den unteren
Bereichen. Und Hessen ist ein heterogenes Land. Im Rhein-Main-Gebiet haben wir
Zuwächse, aber wir haben auch Regionen in Hessen, wo es zunehmend schwieriger
ist, Mannschaften zu bilden oder zu erhalten.
Und in der
Projektgruppe gibt es keine Denkverbote?
Nein. Weil wir
jeden Gedanken hören wollen. Aber wichtig ist erst einmal eine regional bezogene
Analyse, um zielgruppengerecht auf Vereinsverantwortliche, Trainer und Spieler
zuzugehen, die Folgen von festgestellten Tendenzen zu erörtern und Lösungen zu
finden. Dazu könnte zum Beispiel eine Flexibilisierung des Spielbetriebs
gehören.
Es gab ja im
Zuge der personellen Veränderungen auch die eine oder andere Disharmonie. Ist
das erledigt oder müssen Sie auch noch Versöhnungsarbeit leisten?
Ich hoffe, dass ich
durch meine Arbeit dazu beitragen kann, dass auch auf der Präsidiumsebene wieder
ein harmonisches Miteinander gelebt wird. Ich habe nicht perspektivisch auf eine
weitere Karriere innerhalb des HFV oder DFB kandidiert, sondern ich wollte
dieses Aufgabengebiet bearbeiten. Künftig sollen Sachthemen im Vordergrund
stehen und nicht mehr Personalthemen.
Sie werden
zunächst bis zum Verbandsfußballtag im Herbst 2024 im Amt sein. Welche
Prioritäten setzen Sie in dieser Zeit?
Neben der
Spielklassenreform geht es mir darum, die Situation auf den Sportplätzen zu
beruhigen. Ich befürworte die Einführung des Trainerpasses in Hessen, mit dem
wir im Kreis Groß-Gerau sehr gute Erfahrungen gemacht haben. Weil dann jeder an
einer Art Umhängekarte den richtigen Ansprechpartner erkennt und ich mir
vorstellen kann, dass durch entsprechende Schulungen die Trainer stärker
miteinander in Kontakt kommen und eine Vorbildfunktion für ihre Spieler
ausfüllen können, was das Verhalten auf den Plätzen angeht. Wir werden die
Vereinsvertreter stärker schulen, wir haben bereits Fairplay-Beobachter für
Spiele installiert, bei denen es Hinweise auf zu erwartende Schwierigkeiten
gibt, und wir werden Sicherheits-Richtlinien erarbeiten, die bis in die unteren
Klassen den Vereinen ermöglichen, stärker auf das Geschehen auf den Sportplätzen
einzuwirken.
Neben der Gewalt
ist auch das Schiedsrichterwesen ein Dauerthema im Amateurfußball. Wie sehen Sie
da die Entwicklung?
Wir müssen
zweigleisig vorgehen. Wir müssen das Image des Schiedsrichters verbessern und
für Respekt auf den Plätzen sorgen. Diese unsäglichen Rudelbildungen und diese
"Hey Schiri"-Schreiereien müssen aufhören. Und dann gelingt es uns vielleicht
auch, über neue Ansätze für Nachwuchs zu sorgen, beispielsweise über eine
Schul-AG in einer Projektwoche.
Rudelbildungen wie kürzlich beim
Drittligaspiel zwischen dem SV Wehen Wiesbaden und Viktoria Köln will Robert
Neubauer nicht mehr auf hessischen Fußballplätzen sehen. |
Die
Wiedereinführung der Zeitstrafen war ein Pilotprojekt in Hessen. Wie fällt die
Bilanz aus?
Die Rückmeldungen
sind sehr heterogen. Ich würde fast sagen, die eine Hälfte ist dafür und die
andere dagegen. Manche bevorzugen die Gelb-Rote Karte mit einem Spiel Sperre,
andere sehen eine Beruhigung der Spieler durch die Zeitstrafen.
Die Erfolge der
deutschen Nationalmannschaft bei der EM 2022 haben dazu beigetragen, dass das
Interesse an Mädchen- und Frauenfußball in Hessen gestiegen ist. (© DPA)
Nach dem frühen
WM-Aus der deutschen Nationalmannschaft hat wieder einmal eine Diskussion um die
Jugendarbeit begonnen. Wie sehen Sie die, und was muss sich Ihrer Meinung nach
ändern?
Mit der Spielform
Funino für die Jüngsten sind wir auf dem richtigen Weg, weil wir dadurch die
Spielerinnen und Spieler früh befähigen, selbst Entscheidungen zu treffen. Und
das hat auch Auswirkungen auf hochbezahlte Jungprofis, die ihren gesamten Alltag
organisiert bekommen, was aber für ihre Persönlichkeitsentwicklung
kontraproduktiv ist. Diese Talente müssen wieder mehr Selbstverantwortung
bekommen.
Die
Nationalmannschaft ist das Zugpferd des deutschen Fußballs. Zuletzt gab es
Kritik an den hohen Eintrittspreisen und späten Anstoßzeiten bei Länderspielen.
Wie sehen Sie das?
Rudi Völler hat
gesagt, wir müssen wieder näher an die Fans ran. Das sehen viele
Vereinsvertreter so, auch ich. Auch wenn die Spielzeiten an
TV-Übertragungszeiten orientiert sind, die das meiste Geld bringen: Es muss
möglich sein, ein- oder zweimal im Jahr eine Art "Familien-Länderspiel"
anzubieten, wo man mit Kindern ins Stadion gehen kann, die am nächsten Tag in
die Schule müssen. Hier ist der DFB gefordert, Zeichen zu setzen, auch was die
Eintrittspreise angeht, um die Kinder und Jugendlichen wieder näher an die
Nationalmannschaften heranzuführen.
Wie sehen Sie
die Position des Frauenfußballs?
Im HFV sehen wir,
dass es in den verdichteten Regionen einen Zuwachs an Mädchen und Frauen gibt,
die Fußball spielen. Und da hat das Auftreten bei der EM 2022 eine gravierende
Rolle gespielt. Unsere Nationalelf kam sympathisch rüber, die Frauen haben mit
Stolz und Engagement gespielt. Wir müssen noch stärker in die Zusammenarbeit mit
Schulen gehen. Das ist das A und O. Viele Mädchen haben Interesse am Fußball,
und die besseren setzen sich auch in den Jungenmannschaften durch, aber die
etwas schwächeren, die noch stärkere Förderung benötigen, verlieren oft die
Lust, wenn sie mit den Jungen zusammenspielen. Für die muss es Angebote an
Schulen geben.
Sie haben Funino
erwähnt, was halten Sie von Gehfußball für die Älteren?
Das ist für jeden
Verein eine Bereicherung. Es gibt positive Aspekte, die das Interesse weiter
befeuern werden: Bewegung im Alter, die "dritte Halbzeit" und nicht zuletzt die
Möglichkeit für Vereine, aus den Gehfußballern den Bereich der Ehrenamtlichen zu
erweitern.
Wenn Sie drei
Wünsche frei hätten für Ihre Arbeit als Verbandsfußballwart, welche wären das?
Ein deutlich
besseres Miteinander auf den Sportplätzen. Eine Vision für das zukünftige
Fußballspielen in Hessen, die von der Mehrheit der Betroffenen akzeptiert wird.
Und dass meine Frau das weiterhin so gut mitträgt wie bisher.