Rüsselsheimer Ruder-Klub 08 "Archiv und Chronik"

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Norbert Kindlmann

Auch wenn es im Achter zu keiner Medaille reichte, die Spiele 1972 bleiben für Norbert Kindelmann (vorn) unvergessen.

 

 

 

 

 

Wie der deutsche Achter im Designerboot sein Debakel erlebte

Der Biebricher Norbert Kindlmann saß 1972 bei Olympia im Ruder-Flaggschiff, das seiner Favoritenrolle auch aufgrund des Materialwechsels nicht gerecht wurde.

Von Manfred Schelbert (aus "https://www.wiesbadener-kurier.de" vom 5. September 2022)

SCHLANGENBAD. 1972, Olympische Spiele in München. Heitere Spiele, Spiele, die viele nicht vergessen werden. Vor allem die Athleten, die damals an den Start gingen. Athleten, wie zum Beispiel Norbert Kindlmann. Ruderer, jung, dynamisch. Übrigens ein echter Biebricher Bub, Jahrgang 1944, Ruderer mit Leib und Seele. Noch heute, wenn man sich mit ihm unterhält. "Natürlich waren die Olympischen Spiele der Höhepunkt meiner Karriere", erläutert er. Ob auch erfolgreich oder nicht, darauf kommen wir noch zu sprechen.

Bei der EM "die einzige Boje im ganzen Hafen" erwischt

Kindlmann, ein Stern, der erstmals 1965 in der Ruderszene zu leuchten begann. Der damals 21-Jährige startete bei den Deutschen Meisterschaften in Mannheim gemeinsam mit Joachim Wincierz für die Rudergesellschaft Biebrich im Zweier ohne Steuermann. 18 Boote waren damals am Start. "Heute undenkbar", behauptet Kindlmann und hat wahrscheinlich recht. Bis zum Endlauf lief es wie geschmiert für die beiden Wiesbadener. "Dann erwischten wir im Endlauf die einzige Boje, die im Mühlau-Hafen lag", bringt Kindlmann das Dilemma auf den Punkt. Aus, vorbei. Am Ende steht Platz fünf in der Ergebnisliste. Was bleibt, ist nur der erstmalige Kontakt mit Wolfgang Hottenrott, Olympia-Dritter von Tokio 1964. Ein Kontakt, der nie abriss.

Sieben Jahre später, 1971, wurde Kindlmann bei den nationalen Titelkämpfen in Duisburg gemeinsam mit Bernhard Hiesinger für Hassia Hanau Vizemeister im Zweier ohne und Dritter im Zweier mit Steuermann. Ein Ergebnis mit Folgen, wurde doch Norbert Kindlmann im darauffolgenden Herbst von Trainerlegende Karl Adam nach Ratzeburg eingeladen. Gemeinsam mit Wolfgang Hottenrott aus Hannover sollte sich Kindlmann im Zweier ohne für das Großboot qualifizieren. "Ich bin deshalb für die Vorbereitung an jedem Samstag nach Hannover geflogen", erinnert sich Kindlmann. Dort wurden am Wochenende täglich 30 Kilometer gerudert und am Sonntagabend flog Kindlmann wieder nach Frankfurt zurück. "Heute wäre so etwas undenkbar", ist sich Kindlmann sicher. Doch es lohnte sich, beim entscheidenden Ausscheidungsrennen in Lübeck war das Duo haushoch überlegen. Und auch der Achter etablierte sich in den folgenden Rennen als einer der Goldfavoriten für die Olympischen Spiele in München.

Bis, ja bis in der finalen Vorbereitung einige Dinge schief gingen. "Eigentlich hatte Karl Adam keine Ahnung vom Rudern", postuliert Wolfgang Kindlmann. "Seine Kompetenz fundierte auf Physik und Mathematik." Dazu starb Adams Tochter vier Wochen vor Olympia, was den bekannten Trainer natürlich aus dem Gleichgewicht warf.

Viel gravierender waren jedoch andere Fehler. Die großen Erfolge errang der Deutschland-Achter in einem Holzboot. Der bekannte Designer Luigi Colani sollte jedoch für das Olympiarennen ein Kunststoffboot konstruieren. "Das", so Kindlmann, "sollte dann der Welt davonfahren." Das Boot lag schließlich in seiner ganzen Pracht in Münster in einem Wasserschloss, doch die Crew war im Höhentrainingslager am Silvretta-Stausee. "Also musste Colani nach Innsbruck fliegen, um die individuellen Maße der Ruderer an das Boot abzunehmen", erinnert sich Kindlmann und denkt mit Grauen an das weitere Chaos. "Die neuen Sitze passten nicht, sie liefen auf drei Schienen, brachen beim Rudern aus." Dazu kamen auch Fehler bei der Vorbereitung am Silvretta-Stausee. Die Trainingseinheiten zehrten so stark an den Ruderern, dass diese körperlich abbauten. "Im Februar wog ich noch 95 Kilo, bei Olympia waren es noch 88."

Dafür begannen die Wettbewerbe in München noch erstaunlich gut. Über den Vorlauf qualifizierte man sich für das Halbfinale, das man dann sogar gewann, allerdings im alten Boot. Im Finale sollte dann das neue Wunderboot die Konkurrenz schocken. "Doch geschockt waren nur wir", lästert Kindlmann. Denn Karl Adam hatte sich für längere Riemen entschieden. Die waren jedoch kontraproduktiv für den Gegenwind, der beim Finale aufkam.

Beim Startvorgang einen Leistenbruch zugezogen

Für Wolfgang Kindlmann war der Druck auf den Riemen dann so stark, dass er sich beim Startvorgang einen Leistenbruch zuzog. Bis zur 1.750-Meter-Marke gab es dann hinter den enteilten Neuseeländern einen Bord-an-Bord-Kampf zwischen den Booten der USA, DDR, UdSSR und dem Deutschland-Achter. Im Finale fehlte den bundesdeutschen Recken dann die Kraft. "Das war dann so, als ob ich mit einem Hollandrad ohne Gangschaltung nach Alpe d´Huez hinaufklettern will." Was blieb, war Platz fünf und eine große Enttäuschung. "Nimmt man die Ergebnisse aller Regatten zuvor, so wäre mindestens eine Bronzemedaille immer drin gewesen", ist sich Kindlmann sicher. Wenn, ja wenn da nicht die vielen Fehlentscheidungen gewesen wären. Dennoch seien für ihn die Olympischen Spiele in München ein Mega-Ereignis gewesen, das er nie vergessen werde. Was bleibt, ist die Frage, warum Kindlmann statt des Achters nicht mit Hottenrott im Zweier ohne gestartet wäre. "Der Achter ist aber im Rudern einfach das Nonplusultra und wurde außerdem noch finanziell unterstützt", rechtfertigt er seine Entscheidung.

Nach den Olympischen Spielen pausierte Kindlmann zunächst für ein Jahr, ehe er wieder aktiv ruderte und 1974 und 1975 erneut Deutscher Meister wurde. "Danach bin ich nur noch im Opa-Programm gerudert", skizziert Kindlmann, der bis 2014 in Wiesbaden als Ingenieur und Bauleiter im Straßenbau arbeitete, lachend das Ende seiner Karriere. Rudern fasziniert ihn bis heute. "Auf dem Wasser vergisst man einfach alles", philosophiert er. Das Gefühl des Gleitens sei unbeschreiblich, alles geschehe in Harmonie. Harmonisch sei auch aktuell sein Verhältnis zur Rudergesellschaft Biebrich (RWB). Nur zur Herbstregatta könne er zumeist nicht kommen. "Die fällt immer auf den Geburtstag meines Enkels."

Besonders kritisch beurteilt Norbert Kindlmann das Abschneiden der Ruderer vor wenigen Wochen bei den European Championships. "Eine einzige Medaille für so einen großen Verband, das ist mehr als beschämend." Alleine die Art und Weise, wie die jetzige Generation technisch rudere, bestürze ihn. Sicher werden die aktuellen Ereignisse auch beim Thema beim Nostalgietreffen des Deutschland-Achters in Feldmoching sein. Am vergangenen Freitag besuchte man dann die Regattastrecke in Oberschleißheim. Genau am 50. Jahrestag des Achterfinales von München. "Die Kameradschaft aller damaliger Achter-Ruderer ist einmalig", lobt er. Drei- bis viermal im Jahr findet ein solches Treffen statt. Kopfschütteln über das sportliche Desaster inklusive.