Interview: Björn Jensen (aus "Hamburger Abendblatt" vom 16.02.2013)
Obwohl er erst am
Donnerstagabend wieder in Hamburg gelandet war, wirkt der deutsche
Hockey-Nationaltorwart Nico Jacobi, 25, bestens gelaunt und erholt, als er am
Freitagmittag im Vapiano am Rothenbaum bei Pasta mit Scampi und Spinat sein
Abenteuer Indien resümiert.
Hamburger
Abendblatt: Herr Jacobi, worauf haben Sie sich bei Ihrer Rückkehr nach Hamburg
am meisten gefreut?
Nico Jacobi:
Darauf, wieder mit Wasser aus dem Hahn Zähne putzen zu können und beim Duschen
nicht ständig den Mund zuhalten zu müssen. Das Anstrengendste war, auf die
Hygiene zu achten, um sich nicht ein so gefürchtetes Magen-Darm-Virus
zuzuziehen.
Ganz hat das
nicht funktioniert, ein paar Tage lagen Sie flach. Warum lässt sich das nie ganz
vermeiden?
Jacobi: Weil der
europäische Magen an die Anforderungen, die Indiens Hygiene stellt, nicht
gewöhnt ist. Magengrummeln ist ein ständiger Begleiter. Ich habe versucht, den
Grundsatz 'Koche es, schäle es oder lasse es' zu befolgen, auch auf Eiswürfel
habe ich verzichtet, Wasser nur aus verschlossenen Flaschen getrunken. Den
Infekt habe ich bekommen, weil ich auf einem Pressetermin Fisch vom Buffet
gegessen habe. Ich wusste schon in dem Moment, wo ich merkte, dass es Fisch ist:
Das kann ins Auge gehen. Aber ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen und habe
es riskiert. Die Quittung folgte sofort.
Haben Sie
Erfahrungen mit exotischen Speisen gemacht?
Jacobi: Ich habe
mich bewusst von allem, was ich nicht kannte, ferngehalten. Und ich muss sagen,
dass das Essen in den Hotels, in denen wir gewohnt haben, gut bis ausgezeichnet
war. Schwierig war es nur, etwas zu bekommen, das für einen Europäer nicht
scharf schmeckte. Da haben die Inder einfach ein anderes Empfinden.
Wie haben Sie
die Kluft zwischen Arm und Reich empfunden, die in Indien größer sein soll als
in jedem anderen Land?
Jacobi: Anfangs
hatte ich ein erdrückendes Gefühl der Machtlosigkeit und des Mitleids. Aber so
hart es klingt: Mit der Zeit stumpft man ab und nimmt es gleichgültig hin wie
die Inder selbst. Ich habe mal einem Mädchen, das am Straßenrand bettelte, ein
paar Rupien gegeben. Da haben mich meine indischen Teamkameraden regelrecht
ausgeschimpft, weil sie meinten, das Geld würde sofort in Drogen umgesetzt.
Gab es sonst
noch Dinge, die Sie als störend empfunden haben?
Jacobi: Genervt hat
mich, dass man sich auf nichts verlassen konnte. Es gab keinen Terminplan, alles
wurde spontan angesetzt. Die Inder sind sehr servicebewusst, sie fragen ständig,
ob sie helfen können. Aber wenn man wirklich etwas braucht, muss man sich selbst
darum kümmern. Ich habe gelernt, dass man nichts erwarten darf. Und dass man
Gelassenheit braucht. Das gilt insbesondere für den Straßenverkehr. Wenn ich da
selbst hätte fahren müssen, hätte ich es nicht überlebt.
War es Ihnen
möglich, Kontakt zur normalen Bevölkerung aufzunehmen?
Jacobi: Kaum, wir
haben in unserem eigenen Hockey-Universum gelebt. Das, was ich über den Sport
hinaus sehen konnte, hatte lediglich touristischen Charakter. Aber ich habe mit
vielen Deutschen, die dauerhaft in Delhi leben, gesprochen, und die haben
gesagt, dass man als Ausländer grundsätzlich anders behandelt wird. Ein
TV-Reporter, der perfekt Hindi spricht, wollte mal bei einer Taxifahrt den
normalen indischen Preis bezahlen, weil er sich damit auskannte. Da hat ihn der
Taxifahrer aus dem Auto geworfen.
Das Taj Mahal, drei Autostunden von Neu-Delhi
entfernt, ist eins der touristischen Wahrzeichen Indiens |
Ihr früherer
UHC-Teamkollege Philip Sunkel hat im Vorjahr für die Delhi Wizards in der
Konkurrenzliga WSH gespielt. Er berichtete von harten Busreisen, von Insekten,
die während der Spiele auf dem Platz herumschwirrten. Sie sind mit dem Teambus
zwischen Hotel und Trainingsplatz gependelt, zu allen Auswärtsspielen geflogen,
Sie haben in Fünfsternehotels logiert. Haben Sie ein anderes Indien
kennengelernt als er?
Jacobi: Ich war von
der Organisation absolut positiv überrascht, das hätte wesentlich schlimmer
kommen können. Das Reisen war zwar anstrengend, ich habe 18 Inlandsflüge
absolviert. Aber das ist immer noch besser, als im Bus anreisen zu müssen. Und
was die Insekten angeht: In Ranchi krabbelten auch riesige Käfer über den Platz.
Aber damit muss man klarkommen.
Hinter Ihrem
Team Delhi Waveriders steht die Wave Group, ein Multikonzern. Wie war der
Kontakt zu den Eignern?
Jacobi: Bestens.
Man muss wissen, dass das Unternehmen in einer Krise steckte, als im Spätherbst
die Auktion starten sollte, auf der die fünf Teams ihre Spieler ersteigern
konnten. Der Firmengründer war kurz vorher im Zuge eines Streits von seinem
Bruder erschossen worden. Es war lange fraglich, ob das Unternehmen sich
überhaupt im Hockey engagieren würde. Aber weil es der Lebenstraum des
Firmengründers war, hat sein Sohn, der die Geschäfte übernommen hat, letztlich
zugestimmt.
Sie haben sogar
einen Mannschaftsabend in dessen Privathaus erlebt.
Jacobi: Ja, das war
ein unglaubliches Erlebnis. Die Familie residiert außerhalb der Innenstadt von
Delhi in einem von vier Meter hohen Mauern abgeschirmten Areal, auf dem
mindestens sechs Villen stehen. Selbst das Poolhaus ist größer als das Haus
meiner Eltern. Und auf der anderen Straßenseite befindet sich einer der
schlimmsten Slums Neu-Delhis, wo die Menschen im Dreck hausen. Einen krasseren
Gegensatz habe ich nirgendwo anders im Land erlebt.
Indien gilt als
Hockey-Nation ...
Jacobi: ... was ich
nicht uneingeschränkt bestätigen kann. Indien ist eine Cricket-Nation. Hockey
hat einen guten Stellenwert, wird aber nicht flächendeckend im Land gespielt.
Immerhin wurden
alle Spiele der Liga live gezeigt. Wie war die Resonanz in den Medien, die
Atmosphäre in den Stadien?
Jacobi: Die
Zeitungen und das Fernsehen haben täglich berichtet. Das Publikum im Stadion war
sehr unterschiedlich, in großen Städten wie Delhi oder Mumbai etwas
reservierter, in Ranchi sind sie total ausgeflippt. Bei Heimspielen hatten wir
zwischen 4.500 und 12.000 Zuschauern. Es gibt keine Sprechchöre, die Fans fangen
an zu schreien, wenn ihr Team die Mittellinie überquert. Auf den Tribünen wird
getanzt und getrommelt. Nach dem Spiel wollen alle ihren Stars die Hand
schütteln. Da wird gedrängelt, geschubst, man wird festgehalten. Aber die
Glücksgefühle, die ein Lächeln oder ein gemeinsames Foto bei den Fans auslösen,
waren eine schöne Entschädigung.
War es für Sie
komisch, sich als Star fühlen zu können?
Jacobi: Es war ein
sehr ungewohntes, aber schönes Gefühl. Ich wurde auf der Straße oder am
Flughafen erkannt, was in Deutschland nie passiert. Vermissen werde ich das aber
nicht. Grundsätzlich war die Erfahrung toll, sich einmal nur auf den Sport
konzentrieren zu können. Ich habe aber auch gemerkt, dass ein reines Profidasein
nichts für mich wäre. Da fehlte mir doch die Betätigung für den Kopf.
Wie würden Sie
den sportlichen Stellenwert der HIL beschreiben?
Jacobi: Ich denke,
dass wir mit dem UHC gegen jedes HIL-Team gewinnen würden. Die Waveriders
könnten aber in der Bundesliga die Play-offs erreichen. Was ich bei den Indern
an technischem Talent gesehen habe, war absolut beeindruckend. Was ihnen fehlt,
ist die Disziplin in der Defensivarbeit. Es war die Aufgabe der Ausländer im
Kader, diese Struktur reinzubringen.
Als Ausländer
hatten Sie einen besonderen Stellenwert. Wie haben Sie sich mit den indischen
Mitspielern verstanden?
Jacobi: Wir waren
am Ende wirklich eine verschworene Gemeinschaft. Die Teamsprache war Englisch;
mit denen, die das nicht sprachen, haben wir uns mit Zeichen verständigt. Die
Inder dachten, dass wir Deutschen arrogant und hochnäsig seien, humorlos und
verbissen. Mein Zimmerpartner Oskar Deecke und ich konnten diesen Eindruck zum
Glück nachhaltig verändern.
Es heißt,
indische Spieler sind Obrigkeiten gegenüber unterwürfig und den offenen Umgang,
der in Europa vorherrscht, nicht gewohnt. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Jacobi: Nur
teilweise. Unser Trainer Ajay Kumar Bansal war ein sehr angenehmer, lustiger
Mensch, der viel Wert auf die Meinung seiner Spieler gelegt hat. Allerdings
wurde von uns Ausländern erwartet, dass wir die Stellschrauben drehen und unsere
Sicht einbringen. Darum geht es den Indern ja, sie wollen vom Know-how der
Ausländer, die sie gut bezahlen, profitieren.
Sie haben einen
Dreijahresvertrag. Freuen Sie sich schon aufs kommende Jahr?
Jacobi:
Grundsätzlich ja, es hat mir viel Spaß gemacht, und ein Gehalt von 50.000 Dollar
plus Extraprämien, wie ich es verdient habe, ist ja auch ein starkes Argument.
Allerdings ist derzeit noch unklar, wie der Spielbetrieb in 2014 mit den
internationalen Terminen koordiniert werden kann. Deshalb weiß ich noch nicht,
ob ich nächstes Jahr in Indien spielen werde.
Kann die
Bundesliga von der HIL lernen?
Jacobi: Die Inder
beneiden uns um unser Vereinswesen, das es bei ihnen nicht gibt. Deshalb glaube
ich nicht, dass ein Franchisesystem wie die HIL auf die Bundesliga übertragen
werden sollte. Aber von der Professionalität der Vermarktung kann sich die
Bundesliga etwas abschauen. Ich bin mir sicher, dass sich die HIL sehr gut
entwickeln wird, und ich hoffe, dass im kommenden Jahr viel mehr deutsche
Spieler sich trauen, diese Erfahrung zu machen. Persönlich bringt das jeden
weiter.