Wehmut? Nein, Wehmut war nicht mit im Spiel, als sich am Samstag
Nachmittag
Rainer Seifert und Manfred "Polo" Liebig offiziell aus der ersten Mannschaft des
Rüsselsheimer Ruder-Klubs verabschiedeten. Wehmut mag höchstens bei den knapp
100 Zuschauern aufgekommen sein, die an diesem heißen Sommernachmittag wieder
einmal an den Sommerdamm gekommen waren, um "ihren" RRK spielen zu sehen, der
sich zum Abschied der beiden altgedienten Hockey-Cracks mit keinem minderen maß
als mit dem Olympiasieger von München 1972.
Denn die strahlenden Gewinner von München hatten es sich fast ausnahmslos nicht
nehmen lassen, für ihren damaligen Mannschaftskameraden Rainer Seifert, aber
auch für "Polo" Liebig, den alle aus ungezählten Bundesligaspielen kennen, an
den Main zu reisen. Klangvolle Namen waren das, die allesamt ein Stück deutscher
Hockeygeschichte repräsentieren und mit ihrem Sieg von München einen bisher
unüberbotenen Höhepunkt setzten: Wolfgang Baumgart, der Mann vom SC 80,
zwischenzeitlich leicht ergraut, mit Bart und prompt als Römerberg-Inder
apostrophiert, Detlef Kittstein und Horst Dröse, natürlich Peter Kraus, der Held
von München, und "Schimmi" Schmidt, für den der Olympiasieg nur eine halbe Sache
war, weil er sich im Vorbereitungsspiel den Handknochen brach und deshalb nur
einmal kurz eingesetzt wurde. "Eddi" Thelen war aus Köln nach Rüsselsheim
gekommen, und selbstverständlich war auch Michael Krause mit von der Partie,
jener Mann, der mit seinem "goldenen Tor" pakistanische Siegeshoffnungen
eliminierte.
Ja, da konnte tatsächlich bei den Hockeyfans Wehmut aufkommen bei diesen Namen
und diesen Geschichten um sie herum. Da feierten zwei ihren Abschied aus einem
Team, das ohne sie über fast zwei Jahrzehnte hinweg sicher nicht zu einer der
erfolgreichsten deutschen Hockey-Mannschaften geworden wäre.
Waren das noch Zeiten, mag manch einer gedacht haben. Waren das noch Zeiten,
1968, als zum Endspiel gegen Köln 3.000 Zuschauer den Platz am Sommerdamm
säumten, um an einem ähnlich heißen Sommertag freudentrunken die erste deutsche
Feldhockeymeisterschaft zu feiern. Waren das noch Zeiten, als die Köbel-Halle
schier bersten wollte, 1973, beim triumphalen Sieg im Hallenendspiel gegen den
SC 80 Frankfurt. "Waren das noch Zeiten", wird man künftig sagen müssen, "als
der Rainer und der Polo spielten, und der Bäcker-Schimmi und im Tor der Peter
Kraus."
In der Tat. Mit diesem Abschiedsspiel am 27. August mit seinen
klangvollen Namen und vor dieser kümmerlichen Kulisse von nur rund 100
wirklichen Hockey-Freunden, ist ein Kapitel großartiger Rüsselsheimer
Sportgeschichte zu Ende geschrieben worden. Als Hessenmeister bei der B-Jugend
begann die Karriere der beiden des Jahrgangs 1946 und 1947. Acht deutsche
Meistertitel auf dem Feld und in der Halle, fünf Vizemeisterschaften und den
zweiten Platz im Europapokal haben Rainer und Polo gemeinsam errungen, der
kleine quirlige Dribbler Seifert dazu noch im Dress der Nationalmannschaft, einen
Olympiasieg und eine Europameisterschaft. Das ist für Rainer Seifert der
Umstand, dass er damit zusammen mit Fritz Schmidt der erfolgreichste
Rüsselsheimer Sportler ist und mit dieser Bilanz auch nur schwer übertroffen
werden kann.
Und dann stellt sich der Rainer hin und sagt:
"Ich war nie ein Leistungssportler
gewesen." Sagt das nicht aus Effekthascherei, nicht des Kokettierens wegen,
sondern weil er das so meint und weil das wohl auch tatsächlich so ist. "Ich war
ein Künstler", sagt er gleich hintendrauf, diesmal mit Stolz in der Stimme ...
Und wer den Rainer gesehen hat, wie er mit leicht gesenktem Kopf in Richtung Tor
dribbelte, Abwehrspieler wie Fahnenstangen beim Slalom umkurvte und dann aus
schier unmöglichem Winkel "sein" Goal machte, der hatte tatsächlich einen
Künstler gesehen, einen Künstler mit Krummstab und Korkkugel.
Für "Polo" Liebig,
Rainer Seifert
und den RRK 1968 die erste Deutsche Feldhockey-Meisterschaft
durch einen 4:1-Sieg zu Hause am Sommerdamm vor etwa 5.000
Zuschauern über Schwarz-Weiß Köln (hinten: Fritz Schneider, Debu Paul, Coach Josef Schnur, Bodo
Schäfer, Walter Leichtweiß, Wolfram Jirzik, Manfred Liebig,
Rainer Seifert, Helmut Köhler, Fritz Schmidt,
Abteilungsleiter Alfred Rausch; vorn: Hans Hermann, Frieder
Fleck, Thomas Blivier, Peter Kraus, Randolf Renker, Martin
Müller, Michael Heuß) |
Als Künstler unter soliden Handwerkern hat man das Recht auf Freiräume. Hart
trainiert hat er nur in seltenen Fällen, hat es deshalb anfangs auch schwer
gehabt, in der Nationalmannschaft einen Stammplatz zu kriegen. Und ist dann auch
als Nichtleistungssportler Olympiasieger geworden. Der Polo war ganz gewiss kein
Künstler gewesen, aber wie der Rainer wohl auch kein Leistungssportler. Wo der
Seifert Kunststückchen zelebrierte, da schaffte es der Liebig mit
sprichwörtlicher Bierruhe und einer enormen Übersicht bei seiner Arbeit als
Libero.
Jetzt soll das alles vorbei sein? Nein, ganz
gewiss nicht. Mit seiner Bierruhe
wird Polo Liebig wohl immer noch einmal in die Bresche springen, wenn den Jungen
der Kragen zu eng wird. Und der Seiferts Rainer will jetzt zwar vorrangig Tennis
spielen, aber in der Seniorenmannschaft wird er trotzdem noch mitklickern. Da
spielen nämlich die, die schon vor zwanzig Jahren mit ihm ins Training gezogen
sind. Spielen da, weil`s ihnen Spaß macht. "Und wenn Sport Spaß macht, dann
muss
auch was Schönes dran sein."
"Ich war in allen fünf Kontinenten, ich habe unheimlich viel gesehen. Das nimmt
mir keiner mehr ab." Wehmut? Nein, Wehmut war bei Rainer und Polo ganz
gewiss
nicht dabei, als am Samstag Nachmittag zu ihrem Abschied der RRK den
Olympiasieger mit 4:1 besiegte und ein Rainer Seifert dabei zum letzten Mal als
einer der Torschützen der ersten Mannschaft des RRK über den Stadionlautsprecher
genannt wurde.
Rainer Seifert und "Polo" Liebig
nehmen Abschied
Am Samstag werden zwei große
Hockey-Karrieren endgültig beendet / Gegner ist ein "All-Star-Team"
Aus
"Main-Spitze" vom 26. August 1983
Auch wenn es in den vergangenen
beiden Jahren ein wenig stiller um den Rüsselsheimer RK geworden ist, so ändert
das nichts daran, dass die Opelstädter zu den erfolgreichsten deutschen
Hockey-Vereinen der Nachkriegszeit gehören. Acht Titel und fünf
Vizemeisterschaften auf dem Feld und in der Halle belegen dies nachdrücklich,
zwei Akteure, die maßgeblich an diesen Triumphen beteiligt waren, werden am
Samstag offiziell aus dem Kreis der ersten Mannschaft verabschiedet. Rainer
Seifert (35) und Manfred "Polo" Liebig (36) beenden ihre Karriere, wiewohl
letzterer auch nach seinem offiziellen Abschied bestimmt noch das eine oder
andere Mal mithelfen wird, wichtige Bundesliga-Punkte zu erringen.
RRK-Trainer Fritz Schmidt,
langjähriger Kapitän der Nationalmannschaft, lud zu diesem Anlass den Stamm der
Elf ein, die 1972 in München olympisches Gold gewann, bis auf "Michi" Peter und
Peter Trump, die zur Zeit in Amstelveen um Europameisterschaftslorbeer streiten,
folgten fast alle "Schimmis" Einladung zum Abschiedsspiel für die beiden
verdienten RRK-Kämpen.
Von Schwarz-Weiß Köln kommen Michael
Krause und Jost Finke, dazu gesellt sich von Rot-Weiß Köln Eddy Thelen, es
fehlen auch nicht Detlef Kittstein und Wolfgang Baumgart vom SC 80 Frankfurt
sowie Horst Dröse vom Lokalrivalen SaFo. Die TG Frankenthal entsendet ihren
Kapitän "Jogi" Pehlke, komplettiert wird das "All-Star-Team" von den drei
Rüsselsheimern Peter Kraus, Wolfgang Beck und wie könnte es anders sein − Fritz
Schmidt.
Beim Anpfiff der Partie um 16 Uhr
werden Rainer Seifert und "Polo" Liebig das Trikot ihres Stammvereines tragen,
um dann eine Viertelstunde später in den Kreis der Ex-Internationalen
hinüberzuwechseln.
Mit dieser Begegnung ziehen die
beiden ehemaligen Leistungsträger den Schluss-Strich unter eine fast 20-jährige
Laufbahn. 1963 vertraten sie − 16 und 17 Jahre alt − erstmals die RRK-Farben,
1968 erlebten Seifert und Liebig mit dem Gewinn der deutschen Meisterschaft
ihren ersten großen Erfolg. Während im Anschluss daran "Polo" von den Triumphen
der Vereinsmannschaft zehren mußte, weil auf internationaler Ebene der
Heidelberger Ausnahmekönner "Michi" Peter den ihm in der Nationalelf allemal
zustehenden Platz als Libero verbaute, begann für Rainer Seifert am 8. März 1969
in Lahore seine Karriere als Nationalspieler. Insgesamt 122 Berufungen erhielt
der quirlige Stürmer in der Folge, erlebte zwei Olympische Spiele (1972 in
München und 1976 in Montreal) mit, war bei Welt- und Europameisterschaften
dabei.
Mit dem Hockey werden
die beiden aber noch lange nicht aufhören. Fritz Schmidt setzt darauf, dass
"Polo" Liebig in die Bresche springt, wenn einmal Not am Mann sein sollte,
Rainer Seifert wird bei den Alten Herren der Korkkugel nachjagen und bereitet
bereits jetzt der Konkurrenz bei den Senioren einiges Kopfzerbrechen, denn von
seinen Fähigkeiten hat der 35-Jährige kaum etwas verlernt.
Damit möglichst viele Zuschauer an
den Sommerdamm kommen, um den Abschied einen würdigen Rahmen zu verleihen, ist
der Eintritt zu der Partie frei.