Das ukrainische
Segelschulschiff "Khersones" ist Anfang Dezember aus seinem Heimathafen Kerch
auf der Krim ausgelaufen, um Afrika in sechs Monaten zu umrunden. Ende Februar
verlässt der Dreimaster Durban, um über La Reunion zu den Seychellen zu segeln.
Mit an Bord ist auch Jochen Zimmermann aus Kostheim.
Voller Erwartungen kommen gut siebzig Trainees, zahlende Gäste, die aus dem
winterlichen Deutschland nach Südafrika geflogen sind, in Durban an Bord. Auf
einem der größten Segelschiffe der Welt Inseln abzuklappern, die zu den Perlen
der Erde gehören: das muss der absolute Traum sein.
Im gleißenden Sonnenschein legt die Khersones ab, fährt durch den Containerhafen
der Millionenstadt und vorbei an Ausflugslokalen. Dutzende Menschen stehen an
der Pier und winken, als sich der seltene Gast mit drei tiefen Tönen aus seinem
Horn verabschiedet.
Draußen auf dem Indischen Ozean weht der Khersones ein frischer Wind genau
entgegen, keine Chance, Segel zu setzen. Mit der Kraft ihrer Hilfsmaschine
arbeitet sie sich gemächlich voran. Der 61jährige frühere Heizungsinstallateur
Jochen Zimmermann sitzt an Deck und liest: "Ich bin als junger Mann bei der
Marine gewesen und freue mich darauf, über den Indischen Ozean zu segeln – hier
war ich noch nie.“
"Es ist nicht einfach, ein ruhiges Plätzchen zu finden“, sagt Jochen Zimmermann,
aber beschweren will er sich nicht, denn schon als er die Reise buchte, wusste
er, dass die Khersones ein Arbeitsschiff ist auf dem ständig gewerkelt wird.
Insgesamt sechzig gut zwanzigjährige Kadetten absolvieren während der Reise um
Afrika herum ein Pflichtpraktikum für ihr Seemannsstudium. Im Rotationsprinzip
durchlaufen sie ihre Stationen, wechseln Küchenhandtuch gegen Pinsel und helfen
den Maschinisten, verstopfte Toiletten zu säubern – sieben Tage die Woche.
Nach ein paar Tagen verschlechtert sich das Wetter. Die Sonne verzieht sich
hinter dicken Wolken, manchmal regnet es und der Wind bläst stark bis stürmisch.
Schwer stampft das Schiff in den Wellen, die Mannschaft spannt dicke Seile als
Hilfsgeländer über Deck und beim Essen kann man sich kaum auf den langen Bänken
halten. Wer sich in gewohnter Manier drei Kellen Suppe auflöffelt, findet die
Hälfte davon auf dem mit Gummimatten ausgelegten Tisch wieder und hier und da
kippt eine Thermoskanne mit süßem Saft um. Die Stimmung ist gedämpft, einige
sind seekrank, andere dämmern verkeilt in ihrer Koje vor sich hin.
Auch für Kapitän Sukhina ist die Situation alles andere als einfach. Denn
während er sein Schiff um den Süden Madagaskars herum navigiert, nähert sich der
tropische Wirbelsturm "Gafilo“ dem Norden der Insel. Zwar ist Madagaskar gut
1.800 Kilometer lang und der Sturm noch weit weg, doch ist die Bahn von Zyklonen
kaum vorhersehbar. Und in seinem Zentrum entwickelt Gafilo unvorstellbare
Windgeschwindigkeiten von bis zu 250 km/h – doppelte Orkanstärke.
Den Traum vom Segeln in den Tropen haben sich die Trainees vorerst abgeschminkt.
Gebannt verfolgen sie in den nächsten Tagen die Wettermeldungen mit der Zugbahn
von "Gafilo“. Während der Zyklon zweimal über Madagaskar wütet, Palmen
entwurzelt und eine Fähre zum Kentern bringt, hält Kapitän Sukhina auf Abstand,
weicht nach Südosten aus. An Deck weht es mit bis zu 60 km/h, aber die können
dem Schiff nicht gefährlich werden und nach zwölf Tagen läuft die Khersones im
Hafen von Le Port auf La Reunion ein. "Nein, Angst hatte ich nicht“, sagt Jochen
Zimmermann, "aber es ist schon ein gutes Gefühl, jetzt im Hafen zu sein.“ Schon
am nächsten Nachmittag geht es weiter Richtung Seychellen.
Und endlich spielt auch das Wetter mit: himmlisch warme, tropische Luft weht
über das Deck. Kaum ist die Dunkelheit da und mit ihr die Sterne, klingelt es
dreimal kurz-lang durch die Lautsprecher: Segelalarm. Eine Minute später tauchen
die Scheinwerfer des Schiffes Deck und Masten in warmes gelb. Fast gespenstisch
schön sieht das mitten auf dem pechschwarzen Meer aus. Und dann traben die
Kadetten mit ihren Klettergurten zum Appell, entern auf und lösen die an den
waagerechten Rahen festgebundenen Segel.
Als wollte der Wind sich für die erste Woche entschuldigen, bläst er das Schiff
in den nächsten Tagen beständig gen Norden. Die Sonne scheint und die Menschen
an Bord blinzeln zurück. Selbst das Rostklopfen der Kadetten scheint weniger zu
stören. Jochen Zimmermann steht mit einer kleinen Gruppe am Fockmast und schaut
nach oben. Da wollen sie hin. Unter Anleitung eines Offiziers kraxeln sie wie
Piraten in Abenteuerfilmen die Wanten hoch. Auf jeder der drei Salinge, kleinen
Plattformen, die wie Balkone aussehen, machen sie Halt, genießen die Aussicht
und klettern weiter.
Nach acht Tagen kommt Mahé, die Hauptinsel der Seychellen, in Sicht. Erst ganz
in grau, dann immer grüner und schließlich kann man sogar weiße Strände sehen.
Jochen Zimmermann steht an der Reling: "Mit einem Schiff unter Segeln die
Seychellen anzulaufen – das ist schon etwas ganz besonders Schönes.“