Dieser Bereich der "alten
RRK-Homepage" im Vintage-Look enthält auch Inhalte wie Berichte von 2000
bis 6/2018,
wie "In memoriam", wie "Über RRK-Mitglieder", wie
Links, wie Suchen, wie ... usw.
Klopfen und
Kratzen als Beruf – in schwindelerregender Höhe: Jennifer Schrauth ist
Steinmetzin. Sie restauriert den Mainzer Dom und geht dabei regelmäßig auf
Zeitreise.
Von Deborah
Weber (aus "https://www.spiegel.de" vom
18.06.2023)
Es quietscht,
als sich der Lastenaufzug in Bewegung setzt. Langsam fährt er am Baugerüst
entlang nach oben, bis die Mainzer Hausdächer wie Spielzeugsteine aussehen. Auf
40 Meter Höhe hält er ruckartig an. Jennifer Schrauth, 44, öffnet die Klappe,
zieht sich die Mütze über die Ohren und betritt ihren Arbeitsplatz.
Hier oben,
hoch über der Altstadt, verbringt Jennifer jeden Tag mehrere Stunden mit
Klopfen, Hämmern, Kratzen und Pinseln – bei Sonnenschein wie bei Nieselregen.
Jennifer ist Steinmetzin. Ihre Aufgabe ist es, den Mainzer Dom in Schuss zu
halten. Denn Wind und Regen hinterlassen ihre Spuren auf den alten Steinen,
lassen Mauern verwittern, Säulen abbröckeln oder gar zerspringen. "Wenn Wasser
in die Steine eindringt und gefriert, dehnt es sich aus, und es entstehen Risse
in den Steinen. Wie beim Blumentopf im Garten oder der Flasche im
Gefrierschrank", erklärt Jennifer.
Jeden Morgen
um sieben Uhr geht’s los. Belohnung fürs frühe Aufstehen ist die freie Sicht auf
den Sonnenaufgang: "Eine bessere Aussicht als von hier oben gibt’s gar nicht.
Man sieht beide Enden des Regenbogens!" Man spürt aber auch jede einzelne
Windböe, die das Gerüst vibrieren lässt. Zum Glück ist Jennifer schwindelfrei.
"Ist doch wie auf dem Balkon", sagt sie und lacht.
Mit ihren
beheizbaren Schuhsohlen ist sie gegen die Kälte gewappnet. Der Steinmetzin mögen
Wind und Wetter zwar wenig anhaben, den Steinen aber schon: An manchen Stellen
sieht man deutlich, dass das Bauwerk schon viele Jahrhunderte alt ist. "Hier
muss ich noch mal ran", sagt Jennifer und taucht einen Pinsel in einen Eimer.
Darin befindet sich Kalkschlämme, ein natürliches Material, das die alten Steine
schützt, ohne ihnen zu schaden. Sorgfältig streicht die Steinmetzin mit dem
Pinsel über die Mauer. Beim Restaurieren braucht sie Fingerspitzengefühl.
Den Dom zu
restaurieren ist eine Aufgabe, die niemals endet. Wenn die eine Seite erneuert
ist, ist die nächste dran. "Vor einigen Jahren haben wir an der Turmspitze
angefangen. Jetzt arbeiten wir uns Stück für Stück nach unten." Besonders
spannend findet Jennifer, dass der Dom nach und nach über mehrere Jahrhunderte
umgebaut und verändert wurde: "Das ist wie ein Puzzle verschiedener Epochen.
Manche Steine sind um die 800 Jahre alt. Herauszufinden, wie man damals gebaut
hat, fühlt sich wie eine Zeitreise an." Jede Veränderung wird genau
dokumentiert, damit das Wissen über die alte Bauweise nicht verloren geht. "Es
macht mich stolz, Teil dieser uralten Geschichte zu sein und selbst meine Spuren
zu hinterlassen", sagt Jennifer.
Bei Sturm und
Gewitter ist es auf dem Gerüst zu gefährlich. Dann arbeitet Jennifer in ihrer
Werkstatt. "Momentan kopiere ich dort den Kopf von Martin." Martin hat eine
markante Nase, trägt einen Federhut, ist ungefähr hundert Jahre alt – und aus
Stein. Die Reiterstatue des heiligen Martin, die dem Dom seinen Namen gegeben
hat, ist verwittert. Risse verlaufen quer über die Augenlider. Jennifers Aufgabe
ist es, für die Statue einen neuen Kopf anzufertigen, der wie das Original
aussieht.
Zur
Orientierung hängen viele Fotos von Martin in der Werkstatt, aus verschiedenen
Winkeln und Perspektiven geknipst. In der Mitte des Raums steht ein massiver
Steinklotz, daneben ein Modell aus einem 3-D-Drucker. Konzentriert misst
Jennifer, in welchen Abständen sie hämmern muss, und meißelt Kerben in den
Klotz. In Millimeterarbeit verwandelt sie den Stein in ein Gesicht mit
Augenlidern und Wangenknochen. Bis die Statue fertig ist, wird es noch Monate
dauern. "Fürs Hauen kriegt man ein Gefühl, irgendwann ist das wie Fahrrad
fahren."
Allein ist
Jennifer selten: Sowohl auf dem Baugerüst als auch in der Werkstatt grüßt sie
regelmäßig andere Handwerker, die mit ihr am Dom arbeiten – alles Männer.
Jennifer ist eine der wenigen Frauen in diesem Beruf. Dumme Sprüche zu ernten
kennt sie gut. "Als Frau im Handwerk reicht es nicht, genauso gut zu sein wie
die Männer. Man muss besser sein", erklärt Jennifer. "Es ist nicht genug, im
Stehen pinkeln zu können. Man muss im Handstand pinkeln können, ohne sich zu
bekleckern."
Doch in dem
Beruf fehlen nicht nur Frauen, sondern auch Nachwuchs. Immer mehr junge Menschen
entscheiden sich für ein Studium statt für die Ausbildung. Deshalb gibt es immer
weniger Steinmetze in Deutschland, viele Ausbildungsstätten müssen schließen.
Für Jennifer war es nach dem Abitur dagegen klar, dass sie etwas Praktisches
machen und mit den Händen arbeiten will. "Diese Entscheidung habe ich in 26
Jahren keinen Tag bereut", schwärmt Jennifer. "Das ist mein Traumjob."