Die Nacht ist nicht
allein zum Schlafen da − so heißt es nicht nur in einem bekannten Schlagertext.
Für Fritz Schmidt, Kapitän des frisch gebackenen Hallenhockey-Europameisters,
Mitglied der Goldmedaillen-Mannschaft und Boss des mehrfachen deutschen
Hockeymeisters Rüsselsheimer RK, der bereits wieder nach dem nächsten
Hallentitel greift, gehört dieser Satz gewissermaßen längst zum täglichen Brot.
Bei dem viel beschäftigten Bäcker- und Konditormeister klingelt der
Wecker gewöhnlich nachts gegen halb Drei und treibt den Teilhaber im elterlichen
Geschäft an die Teig- und sonstigen Maschinen. Wenn andere Leute sich zum
zweiten Frühstück niedersetzen und ihr frisches Brötchen vom ersten Frühstück
fast vergessen haben, hat Fritz Schmidt bereits das Ende seines Tagwerks
erreicht. Doch das scheint nur so. Denn ab zehn Uhr, noch bevor das Mittagessen
an der Reihe ist, gehört er seinem Rüsselsheimer Klub oder − wie bei einem
Besuch sichtbar wurde − er wälzt die Geschäftsbücher.
Das alles vollbringt er
freilich nicht auf einsamer Bahn. Eingebettet in ein wohl sortiertes
Familienunternehmen mit dreißigköpfiger, zum Teil seit Jahrzehnten mitwirkender
Belegschaft und drei Filialen an exponiert gelegenen Stellen der Stadt, schafft
er es sozusagen in Teamwork. Und vielleicht bezieht er gerade aus diesem
privaten Bereich jenen Blick für ein mannschaftlich effektvolles Zusammenspiel,
das die Hockeymannschaft des Rüsselsheimer RK bei ihren großen Erfolgen,
insbesondere seit dem Meisterschaftsjahr 1968, so augenfällig auszeichnet, ein
Zusammenspiel, in dem der Star nicht vergisst, dass er nur mit den anderen
zusammen erst einer ist. Vielleicht wird damit auch die Frage beantwortet, wie
ein Spitzensportler vom Schlage eines Fritz Schmidt diese Rolle mit einem Beruf,
der seinem Mann gewiss rund um die Uhr auslastet, auf einen Nenner zu bringen
vermag.
Endspiel
um die Deutsche Feldhockey-Meisterschaft 1973 am Sommerdamm in Rüsselsheim
− Vor 5.000 Zuschauern siegt Rot-Weiss-Köln 2:0, das ist "nur" die
Vizemeisterschaft für den RRK
− Die Mannschaften betreten das Spielfeld
(vorn der RRK mit v.l. Frieder Fleck, Rainer Seifert, Manfred Liebig, Wolfgang
Beck, Klaus Held, Bodo Schäfer, Wolfram Jirzik, Wolfgang Schneider, Martin
Müller, Mike Martin und "Boss" Fritz Schmidt) |
Für ihn selber scheint
das überhaupt kein Kunststück zu sein. "Meine acht Stunden Schlaf habe ich auf
jeden Fall pro Tag!", beruhigt er den Frager. Freilich gehört dazu auch das
Talent, zu jeder Tages- und Nachtzeit − ob im heimischen Bett oder im Flugzeug −
sofort und fest schlafen zu können. Fritz Schmidt kann es, wie etwa ein Flug
nach Südafrika bewies, als er sich in Frankfurt quer auf leere Jumbo-Sitze
legte, irgendwann über den Wolken kurz zu einem Trunk erwachte und am Zielort
topfit ausstieg.
Daß er freilich seine
Hockeyweltreise - nur Australien und Südamerika fehlen noch in seiner Sammlung -
nicht verschlief, beweisen die zahlreichen Souvenirs, für die (und die
sportlichen Auszeichnungen!) er noch eine passende Vitrine sucht, sofern sie
nicht seine Wohnung bereits schmücken. Die Teppiche, die die Füße des Besuchers
umschmeicheln, sind garantiert echt und selbst mitgebracht. Für sie bestand
weniger die Gefahr, in die die jetzt gewonnene Europameisterschaftsauszeichnung
nach der Rückkehr aus Berlin geriet. Sie steckte noch in der Tasche des
Trainingsanzuges, und der steckte − wie es sich gebührt − flugs in der
Waschmaschine. Sie − und auch die Auszeichnung − hat es glatt überstanden.
Überstanden hat wohl
auch Fritz Schmidt sen., Chef des Hauses, die Tatsache, dass sein Filius nicht
Fußballer geworden ist. Er, der bei den Rüsselsheimern als Linksaußen und
Torwart aktiv tätig war, musste schließlich die Feststellung von Fritz
akzeptieren: "im Fußball wird nach Altersklassen gespielt und nicht nach
Leistung!" Und da konnte er wohl zuviel für sein Alter.
Das spürten auch die
Hockeyspieler, als der Vierzehnjährige für Hessens Nachwuchsauswahl nicht alt
genug erschien. Mit fünfzehn stand er dann in der 1. Mannschaft des RRK, mit
zwanzig in der Ländermannschaft. Dass Hessens Nachwuchsteam dann noch auf ihn
zurückgreift und den Franz-Schmitz-Pokal gewann, versteht sich am Rande. Und
dass
er das Fußballspielen nicht verlernt hat, wissen die Rüsselsheimer Kicker nur zu
gut. Oft genug wurden sie von den Hockeyspielern besiegt. Schließlich hat man
mit Professor Zimmermann einen Onkel in der DFB-Spitze. Das verpflichtet!
97 Länderspiele im
Hockeydress (dazu 16 in der Halle) hat Fritz Schmidt hinter sich gebracht, im
März wäre beim Treffen gegen Wales und im Londoner Turnier das 100. Spiel fällig
gewesen. Doch seinem Klub zuliebe verschiebt er diesen persönlichen Erfolg. Er
macht dafür mit seinen Klubkameraden die schon längst versprochene
Südafrikareise mit. Eigentlich passt dieser Entschluss in das Verhältnis der
Spieler untereinander, die auch privat offensichtlich das Teamwork pflegen. Als
Fritz Schmidt einst aus Berufsgründen auf die Teilnahme am Baseler Turnier
verzichten wollte, erschienen ein paar Spielkollegen und griffen beim
Zwetschgenkuchenaufsetzen so kräftig zu, dass es doch noch klappte.
Gewiss wird der
"Tortenkönig von Rüsselsheim" − wie es manchmal in der umfangreichen
Hockeykorrespondenz liebevoll heißt − irgendwann einmal nicht mehr so einfach
herauszuhauen sein. In diesem Jahr wird Papa Schmidt 65 und das Geschäft 50
Jahre alt. Dann wird wohl der Spielmacher des Hockeyfeldes ein anderes Spiel zu
machen haben, für dessen Präzision immer noch Mutti Schmidt Tag für Tag sorgt
und in dem auch Frau Ute ihre Rolle spielt. Doch vorerst wird Fritz Schmidt
dort, unweit der Fabriktore, wo das Hockey wahrlich zum Volkssport gedieh, den
Stock noch kräftig schwingen und in Claudia (11) und Fritz jun. II. (noch 9) die
gelehrigsten Schüler haben. Ohne Brot kann gewiss kein Bäcker leben. Ein
Bäckermeister namens Fritz Schmidt ohne Hockey gewiss auch nicht ...