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Über Mitglieder des
RRK (2015)
Frédéric Brossier |
Auf der Bühne wirken die Schauspieler gut
aufeinander abgestimmt. |
Theater-Heimspiel für den Stipendiaten
Frédéric
Brossier, Förderstipendiat der Stadt Rüsselsheim, präsentiert vor vollem Haus
auf der Studiobühne eine eigene Adaption von Athol Fugards "Die Insel".
Von STELLA LORENZ
(aus "Rüsselsheimer Echo" vom 15.10.2015)
Eine Stunde vor
Vorstellungsbeginn liegt die Hinterbühne des Stadttheaters noch im Halbdunkel.
Ein meterhohes Podest ist in der Mitte aufgebaut, darauf zwei Decken und eine
Zinkwanne, darüber baumelt eine große, kahle Glühbirne. In einer Ecke steht Tom
Semmler, weiter vorne Frédéric Brossier. Beide sind barfuß und in Jogginghose
und machen sich warm für den bevorstehenden Theaterabend.
Viele Freunde im
Publikum
Ein Kraftakt, der
neben Fokus und Konzentration auch körperlicher und stimmlicher Vorbereitung
bedarf. Auf dem Boden, im Stehen, mal kickboxend oder mit Yoga – der ganze Raum
wird so erschlossen; die Bewegungen werden mit jeder Minute des Aufwärmens
klarer, flinker. Über Zungenbrecher und Lautmalerei wird die Stimme geölt.
Ausschnittweise werden einige Stellen des Stücks wiederholt, es soll alles
sitzen. "Klar, ich bin etwas nervös – es sind viele Bekannte und
Familienmitglieder da", sagt Frédéric Brossier. "Aber ich freue mich auch total,
wieder hier zu sein."
Es ist ein
Heimspiel für den Förderstipendiaten der Stadt Rüsselsheim von 2013, der an
diesem Abend sein Talent im Rahmen des Stipendiums beweist. Gemeinsam mit seinem
Kommilitonen Tom Semmler studiert er seit 2012 Schauspiel an der Hochschule für
Musik, Theater und Medien in Hannover. In Eigenregie haben beide eine Adaption
von "Die Insel", einem Stück aus den 1970er Jahren von Athol Fugard, erarbeitet
und auf 30 Minuten gekürzt. Die Gefängnisinsassen und Zellengenossen Winston (Brossier)
und John (Semmler) versuchen sich ebenfalls an einem Theaterstück – Sophokles’
Antigone, das als Parabel auf ihre eigene Situation dient.
Schnell wird klar,
dass sich Winston nicht so recht damit anfreunden kann, eine Frau zu spielen,
aber die antike Tragödie rückt so oder so in den Hintergrund, als John die
Nachricht der vorzeitigen Entlassung erhält. In emotionaler Reflexion von
Hoffnung, Verzweiflung und guten Wünschen für den Freund schließt das Stück
schließlich mit Winstons Schicksalsergebenheit, weiter eingesperrt zu sein, bis
irgendwann alles vorbei ist. Brossier und Semmler spielen authentisch,
interagieren hervorragend zusammen und zeigen selbst bei stürmischen
Liebesszenen und mit nacktem Hintern absolute Professionalität. Die
minimalistische Ausstattung des Bühnenbilds hebt die schauspielerische Qualität
beider Darsteller noch hervor.
Gestik und Mimik
auf der Bühne
Im zweiten Teil des
Abends stellen Frédéric Brossier und Tom Semmler dann erneut eindrucksvoll ihr
Können in Monologen vor, die das Rüsselsheimer Publikum quasi als Generalprobe
für die kommenden Abschlussprüfungen erlebt. Semmler tritt hier als Richard aus
Shakespeares Henry VI. auf und schafft es, trotz elisabethanischer Versstruktur
die Sehnsucht nach der Krone mit Stimme, Gestik und Mimik klar und zeitgemäß zu
vermitteln. Brossier eröffnet seinen Monolog aus Goethes Werther – wie es
passender für Werthers Nicht-Beziehung zu Charlotte nicht sein könnte –
musikalisch mit Xavier Naidoos "Sie sieht mich einfach nicht". Im Monolog selbst
schöpft Brossier dann aus den Vollen und zeigt, von Glückseligkeit über
Verzweiflung und Resignation bis zu gelassener Todessehnsucht, ein
beeindruckendes Spektrum an Ausdruck. Die Nervosität vom Anfang des
Theater-Abends bei den beiden Schauspielern ist letztlich unbegründet, das
Publikum quittiert die Auftritte mit begeistertem und uneingeschränkt
berechtigtem Applaus.
Szenischer Abend mit Kulturstipendiat Frédéric Brossier und seinem
Studienkollegen Tom Semmler im Rüsselsheimer Stadttheater
Frédéric Brossier (links) und Tom Semmler im
Schauspiel "Die Insel". |
Von Manuel Wenda
(aus "Main-Spitze" vom 15.10.2015)
Eine schillernde
Stunde im Rüsselsheimer Stadttheater. Komplett ist der Zuschauerrang der
Hinterbühne besetzt, um einen szenischen Abend mit den beiden jungen
Schauspielern Frédéric Brossier und Tom Semmler zu erleben.
Brossier wuchs in
Rüsselsheim auf und sammelte hier erste Schauspielerfahrungen an der jungen
Bühne. 2012 begann er ein Schauspielstudium an der Hochschule für Musik, Theater
und Medien in Hannover, das er in Kürze abschließen wird. 2013 erhielt er ein
Förderstipendium seiner Heimatstadt, seine Karriere hat mittlerweile an Fahrt
aufgenommen. Er gastierte am Studiotheater Hannover sowie am Oldenburgischen
Staatstheater.
Mit seinem Kollegen
Tom Semmler präsentiert er eine Adaption des Stückes "Die Insel" des
südafrikanischen Autors Athol Fugard, die die beiden Mimen selbst erarbeitet
haben. In der zweiten Hälfte sprechen beide einen Monolog, der Teil ihrer
Abschlussprüfung ist.
Auf engstem Raum
Als die Besucher
den Saal betreten, ist die Handlung schon in vollem Gange. Laute, mechanische
Beats dröhnen aus den Boxen, John (Tom Semmler) und Winston (Frédéric Brossier)
trainieren gemeinsam. Sie sind Strafgefangene, die auf engstem Raum miteinander
leben müssen und darum kämpfen, Struktur in ihren Alltag zu bekommen. Sie
arbeiten an einer Inszenierung der "Antigone" von Sophokles, in der die Frage
nach dem Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit gestellt wird. Brossier und
Semmler leisten verdammt gute Arbeit. Sie vermögen, die Essenz von Fugards Stück
in den Blickpunkt zu rücken, das Bühnenbild ist spartanisch, aber sofort ist der
Besucher in der Handlung.
John und Winston
sind in jeder Hinsicht massivem Druck ausgesetzt, die Enge, die Unsicherheit und
das Eingesperrtsein zerren an ihren Nerven. Winston soll die Rolle der Antigone
spielen, hat jedoch Angst, sich zum Gespött zu machen. John will ihn bestärken,
stößt jedoch auf Widerstand. Winston: "Ich behalt meine Eier, und Du spielst die
Antigone." Tom: "Du hast gar keine Zeit mehr, den Text des Kreon zu lernen."
Auch homoerotische
Momente werden nicht ausgespart, ebenso wird die Wirkung der totalen Abwesenheit
von Frauen thematisiert. All diese Konflikte vermitteln Brossier und Semmler mit
großer Präsenz. In ihrer ganzen Härte und Rauheit wird das Grundthema der
"Insel" mit Stil und Feingefühl dargeboten.
Nach der Pause
macht Semmler den Auftakt, er schlüpft in die Rolle König Richards aus William
Shakespeares Historiendrama "Heinrich VI". Semmler ist wandlungsfähig und bringt
schnell Rhythmus und Dynamik in seinen Vortrag, die Konturen seiner Figur nehmen
sofort Gestalt an.
Brossier wiederum
rezitiert aus "Die Leiden des jungen Werther" von Goethe. Er gleitet durch die
extremen Gefühlszustände des Protagonisten. Absolute, rauschhafte Verliebtheit,
Wut, Selbstüberhöhung und Todessehnsucht vermag Brossier auszudrücken. |