(hoka). Die mit prominenten Namen prall gefüllte Rednerliste beim Festakt des
Rüsselsheimer Ruder-Klubs zu seinem 75jährigen Bestehen war noch nicht
besonders weit abgehakt, da geriet das Protokoll schon aus den Fugen. Keiner der
Gäste im bis auf den letzten Platz besetzten Bootshaus an der Festung zeigte
sich darüber aber ungehalten, trugen die spontanen Gesten vielmehr zu einer
Auflockerung der Stimmung bei. Mit Horst Ackermann, der als stellvertretender
Vorsitzender des RRK in freier Rede durch die Klippen des Programms führte,
hatte der Vorstand außerdem einen guten Griff getan, trug doch seine bescheidene
und humorvolle Art dazu bei, die Zeit bis zum Sturm auf das kalte Büffet wie im
Fluge vergehen zu lassen.
Umrahmt wurden die Reden von einem bei derartigen Festakten unvermeidlichen
Streichquartett, dessen Stücke aber an Stellen des Programmablaufs plaziert
waren, die Erholung vom Gehörten und Vorbereitung auf einen weiteren Gastredner
ermöglichten.
Vorsitzender Professor Dr. Dietmar Klausen nahm die Geburtstagsfeier zum Anlaß,
einmal grundlegend die Frage zu klären, ob der RRK nun ein konservativer oder
progressiver Klub sei. "Schon mancher hat Altbewährtes in seinem
Fortschrittseifer über Bord geworfen", lehnte er avantgardistische Visionen um
ihrer selbst willen ab. Es gehe nicht darum, Neuerungen abzublocken. „Wenn man
aber bestimmte Fortschritte ablehnt, bewirkt das eine bleibende Wertebasis!",
meinte Klausen und nannte als Schlagworte Idealismus und Kameradschaft, die man
als eigentlich konservative Elemente auch in der heutigen Gesellschaft mit Leben
erfüllen könne. "Das erhält einen Verein lebendig!" Wenn man von einem Sportler
Höchstleistungen erwarte, müsse man ihm auch das Recht auf eigenverantwortliche
Entwicklung seiner Persönlichkeit zugestehen.
Der 1. Vorsitzende des RRK, Prof. Dr.
Dietmar Klausen, erhält anläßlich des 75jährigen Klubjubiläums 1883 aus
den Händen des DRV-Präsidenten, Henrik Lotz, die DRV-Flagge mit
Silberkranz überreicht. |
Die eigentliche Not der Jugend sei es, im Grunde ihres Herzens nach einer harten
Stelle in dem unverbindlichen Brei der Gesellschaft zu suchen. "Die Jugend sehnt
sich nach Autoritäten, aber nicht nach autoritären Strukturen", versuchte
Klausen Unterschiede zu verdeutlichen. Das hemme keinesfalls den Fortschritt
oder sei gar reaktionär. Konservativ heiße noch lange nicht, daß es kein
Frischgemüse gebe. Fortschritt bedeute aber noch lange nicht gut oder wahr,
genauso wie konservativ nicht automatisch mit schlecht und falsch gleichzusetzen
sei. "Mir ist bewußt, daß ich damit eine rege Diskussion anzetteln könnte",
meinte Dietmar Klausen.
Ein Verein könne seine Basis aus der Tradition erwachsener Werte stets
fortschreiben und den gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen. "Konservativ
heißt deshalb nicht gleichzeitig Stillstand, sondern heißt, Bewährtes
mitzunehmen in der Absicht, es besser zu machen!"
Aus "Main-Spitze" vom 19.09.1983:
75 Jahre RRK und kein Ende: die
Jubiläumsfeierlichkeiten des über die Stadtgrenzen hinaus wohl bekanntesten
Rüsselsheimer Vereins fanden am Wochenende in der "Akademischen Feier" im
Bootshaus und den zahlreichen Aktivitäten im und um das Festzelt ihren
glanzvollen Höhepunkt.
Verdiente Sportler, Politiker,
Funktionäre und die lokale Prominenz gaben sich am Samstag ein Stelldichein bei
der festlichen Rückschau auf ein Dreivierteljahrhundert, in dem bereits mehrfach
Geschichte gemacht wurde. Ganz entgegen der sonstigen Gewohnheit der Ruderer
versuchte Erster Vorsitzender Professor Dr. Dietmar Klausen in seiner
Festansprache "RRK - progressiv oder konservativ?", "in die Tiefe zu tauchen"
und lieferte damit einen außergewöhnlichen und gelungenen Beitrag zum
Stellenwert des Sports in unserer Gesellschaft. Welchem Lager der Rüsselsheimer
Ruder-Klub 08 zuzuordnen sei, überließ Klausen dem Zuhörer schließlich selbst.
"Ob sich etwas bewährt hat", erklärte
der Vorsitzende, "können wir nur mit der Untersuchung durch die Vernunft und das
Gewissen entscheiden." Als Realist an die vorhandenen Möglichkeiten zu denken,
sei viel progressiver als alles noch so progressives Reden. "Wozu wir uns
bekennen, sind solche Worte wie Idealismus und Kameradschaft, aber immer in der
auf die heutige Gesellschaft bezogenen Realität."
Trotz der nicht immer sinnvollen
Auswüchse im Leistungssport, forderte der Erste Vorsitzende "die weitere
Förderung des von der Vernunft bestimmten Leistungssports".