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Über Mitglieder des
RRK (1954)
Charlotte Wippich |
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"I welcome you in Rüsselsheim"
Klubkameradin Charlotte Wippich, die
beim Internationalen Pfingst-Hockeyturnier des RRK 1954 das schwierige Amt
des "Empfangschefs" inne hatte, berichtet
Aus "Klub-Nachrichten" des RRK vom Juli
1954
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"Was waren eigentlich
Ihre stärksten Eindrücke beim Empfang und der Betreuung so vieler prominenter
Gäste?" fragte man mich nach dem Pfingst-Hockey-Turnier mehrmals. Unser
Pressewart drängte mich: "Schreib` doch mal was darüber!" – Als Karl Saar mich
zum "Empfangschef" ernannte, war mir klar, daß ich alle Hände voll zu tun haben
würde. Doch ehrlich gesagt, ohne ein paar Beruhigungsmittel hätte ich den
Ansturm am Pfingst-Samstag wahrscheinlich nicht bewältigt. Alles hatte ich in
Zusammenarbeit mit der Turnierleitung genau überlegt und vorbereitet. Bei der
letzten Einsatzbesprechung am Freitag im Bootshaus aber dämmerte mir bereits,
daß noch vieles aus dein Handgelenk heraus organisiert werden mußte.
Am Samstag vormittag
ging's los. Weit und breit war im Bootshaus noch kein Gast zu sehen. Gerade
überlegte ich mir noch einige Begrüßungsworte. Plötzlich stand, wie aus dem
Boden gewachsen, ein junger Mann vor mir. Braungebrannt, stämmige Sportlerfigur,
freundlich lächelnd, aber ein unbekanntes Gesicht. Ein Schwall französischer
Worte überflutete mich. Ich war perplex. Das einzige, was ich verstand, war
ungefähr "Brüssähl". Mein Gott, wo blieb mein Schulfranzösisch: Herr Dorrée,
schnell zu Hilfe gerufen, trat dolmetschend in Funktion. Aha! Monsieur Moucque
und einige andere waren als Vorhut des Royal Racing Clubs, Brüssel, mit einem
schweren Straßen-Kreuzer eingetroffen. Von diesem ersten "Französisch"-Schreck
noch nicht ganz erholt, hörte ich: "Die Inder und die Hornets kommen!" Endlich,
mit drei Stunden Verspätung. Ein spannender Moment! Haben die Inder Turbane auf?
tragen sie Bärte? wie sind sie gekleidet? - hatte bereits vorher die Lokalpresse
gerätselt. Ich flitzte zum Parkplatz. Wahrhaftig, meine Hoffnungen wurden
erfüllt. Das. Erste was ich sah: Aus dem Bus kletterten tiefbraune,
schwarzäugige Gestalten, einige mit bunten Turbanen und Langen Bärten. Auch
Damen in Sari-Gewändern waren dabei. Unser Turnier hatte also die gewünschte
sensationelle Note. Die Begrüßung ging glatt. Hände schütteln, fröhliches
Lachen, der Captain der Hornets und der Mannschaftsführer der Inder stellten
sich vor. Einige passende englische Begrüßungsworte fielen mir ein. Man verstand
mich, ich sah es erleichtert am heftigen Kopfnicken der Turbanmänner. "Have you
had a good trip?" fragte ich. Einer der Inder griff sich an sein verlängertes
Rückgrat, ächzte und verzog sein Gesicht. Auch ohne Worte verstanden alle: die
Gäste waren müde und steif durch die lange Busfahrt
von Ostende. Man lachte, der Kontakt war hergestellt.
Ja, und dann geht's am
laufenden Band. Ständig werde ich am Telefon im Geschäftszimmer verlangt.
Dauernd kommen neue Gäste. Verstaubt und müde von der meist langen Reise wollen
sie schnellstens
in ihre Hotels. Manchmal wünsche ich mir, Rollschuhe zu haben, vier Hände und
zwei Sprachrohre. Rund 300 anreisende Turnierteilnehmer sollen schließlich
empfangen und betreut werden. Ich muß vielfach nett einteilen und improvisieren.
Ein Verein kommt anstatt mit 14 mit 20 Leuten, ein anderer nur mit der 1.
Mannschaft, ihre Schlachtenbummler erst sonntags. Die Heidelberger Damen wollen
nun doch gerne zum Tanz dableiben. Wo sollen sie übernachten? Alle Hotels in
Rüsselsheim und Umgebung sind
bereits von uns belegt. Wo bekommen wir noch Quartiere für die
Busfahrer her? Ich verhandle mit den Hotels. Im stillen preise ich die
segensreiche Erfindung des Telefons. Und wieder in die Halle, Neuankommende zu
begrüßen. Mit einem Mannschaftsführer rechne ich ab, drei weitere warten schon.
Auch die Abrechnung selbst wird zum Teil schwierig. Reklamationen gibt es, weil
es mit den Privatquartieren nicht auf Anhieb klappt. Zwischendurch schrillt
wieder das Telefon. Mister Morgan aus London wird vom "Daily Express" verlangt.
Der Sportjournalist vom Royal Racing Club spricht mit Brüssel. Das Turnier hat
auch im Ausland entsprechende Resonanz. Die Inder und die Engländer kommen von
ihren Hotels zurück. Sie haben keinen Pfennig deutsches Geld, dafür zum Teil
aber umso mehr englische Pfund. Was tun? Die Banken sind geschlossen. Die vier
schönen Inderinnen wollen absolut noch Souvenirs kaufen. Bald werde ich in
englisch, bald in französisch und dazwischen in holländisch gefragt. Ab und zu
höre ich auch noch mal ein deutsches Wort, am wenigsten aber unseren vertrauten
Rüsselsheimer Dialekt. Thüringisch, Schwyzer Deutsch, die wohlklingenden Laute
aus dem Rheinland und nicht zuletzt Berliner Mundart. Ein Sprachengewirr wie bei
der UNO. Ein derart internationales Gewimmel gleich einem Ameisenhaufen hat
unser Bootshaus noch nicht erlebt. Die Spiele haben bereits begonnen. An der
Bar, die noch nicht geöffnet ist, wird stürmisch nach "Drinks" verlangt.
Anscheinend hält man mich für die Bardame. Zur Orientierung: ich hatte mich
hinter die Bar verpflanzt, um die Abrechnung mit den einzelnen Mannschaften
besser abwickeln und überwachen zu können. Inzwischen hat Bankfachmann Nold im
Verein mit dem Rhein-Main-Reisebüro und dem Dolmetscher, Herrn Kerpen, von Beruf
Devisenfachmann, die Geldwechselfrage gelöst. Gott sei Dank! ein Problem
weniger. HC Bad Kreuznach fragt: "Unser Reisebus fährt sofort nach Kreuznach
zurück, wie kommen wir ins Königstädter Waldhaus und nach Gustavsburg ins
Hotel?" Der VW-Kleinbusbesitzer Kaspar muß her! Wieder ans Telefon. Zum Glück
kam gerade Herr Kabon, der den Hornets, die in Hochheim wohnen, mit einem Wagen
zur Verfügung steht. – So geht es bis zum Abend doch damit ist glücklich alles
gelöst und sämtliche Gäste sind in den Hotels und Privatquartieren gut
untergebracht. Es ist geschafft!
Charlotte Wippich, als Charlotte Krebs mit den RRK-Damen 1948
Hessenmeister im Feldhockey (hinten: Trainer Georg Mack, Käthe Sieben,
Charlotte Wippich-Krebs, Irene Traiser, Carola Fröder, Annemie Hummel; davor:
Irmgard Faller, Lucie Moser, Anni Diehl; vorn: Maria Herdt, Hedwig
Traiser, Pauline Hill) |
Eine halbe Stunde habe ich zu Hause
Zeit zum Umziehen und der Tanz im Bootshaus beginnt. Zusammen mit Albert Meeser
und Werner Klepper, den vorbildlichen Betreuern der Schweizer Mannschaften,
werden schnell noch Decken organisiert. Unsere Luzerner Camping-Gäste, die auf
Wunsch im früheren BBH übernachten, brachten leider nicht genügend Wolldecken
mit. Das Stimmungsbarometer steigt bei der schmissigen Tanzmusik sofort enorm.
Werner Ornau hat mit der Kapelle den richtigen Griff getan. Nach den Spielen
kommt man sich nun auch menschlich näher. Wir sind eine große Sportlerfamilie.
Ich unterhalte mich mit vielen Gästen. Sie fühlen sich überaus wohl in unserem
Bootshaus. Alle sind begeistert und des Lobes voll über die Aufnahme in
Rüsselsheim.
Am Sonntag morgen bin ich gerade noch
beim Zähneputzen, da klingelt es bereits: "Sofort ins Bootshaus kommen. Du wirst
dringend gebraucht, es geht alles drunter und drüber!" Ich höre ferner, daß ein
schwerwiegendes Dokument schon im Papierkorb gelandet sein soll. Später finde
ich, daß es nicht ganz so schlimm ist. Jedenfalls eile ich ins Klubhaus. Neue
Gäste sind noch angekommen, immer noch sind viele Fragen zu beantworten, die
Endabrechnung der Betreuer, die mich bis auf wenige Blindgänger sehr gut
unterstützen, wird vorgenommen und nachdem auch diese Vormittagsschlacht
geschlagen ist, hängt mir der Magen in den Knien. Um 15 Uhr schließen Finanzmann
Nold und ich uns im Geschäftszimmer ein. Wir wollen endlich mal 1/4 Stunde Ruhe
haben, um unser wohlverdientes Rippchen mit Kraut essen zu können. Nachdem ich
mich anschließend überzeugt habe, daß alles gut läuft, kann ich mir zum ersten
Mal Zeit nehmen, einem Spiel zuzusehen (Inder gegen RRK). Es ist ein rasantes
Spiel, das vom Hessischen Rundfunk übertragen wird.
Und nun noch kurz zum
gesellschaftlichen Höhepunkt des Turniers. Alle freuen sich auf den Turnierball
im Hotel Adler. Und er wird wirklich ein Ereignis besonderer Art. Der festlich
geschmückte Saal bietet ein buntes Bild. Da sitzen die Schweizer Freunde mit
ihrer Damenmannschaft in farbenfrohen Dirndlkleidern und Trachtenkäppis, daneben
die Hornets und TOGO Den Haag streng konservativ im Smoking. Die Inder haben
selbstverständlich auch hier ihren Turban auf. Und mitten drin freuen sich
unsere ostzonalen und Berliner Hockeyfreunde, endlich einmal freie Luft atmen zu
können. Nach dem offiziellen Teil mit angenehm kurzen, herzlichen Ansprachen von
Turnierleiter Karl Saar, Bürgermeister Dörfler und Präsident Dr. Renker (von
Chefdolmetscher E. Kerpen spielend übersetzt) sowie dem Austausch der
Erinnerungsgaben kommt zweifellos der Höhepunkt des Abends. Unser
unübertrefflicher Karl Saar bittet die Mannschaftsführer sämtlicher
Turniervereine nochmals auf die Bühne, läßt sie in einer Reihe unterhaken, gibt
der Kapelle das Zeichen und der ganze Saal schunkelt und singt rheinische
Lieder. Das ist ein Beispiel wahrer Völkerverständigung, für mich vielleicht der
stärkste Eindruck vom Turnier. Na, und die übrige Stimmung, die haben Sie ja
wohl alle selbst miterlebt.
Der Montag verläuft glatt und
reibungslos bei herrlichem Wetter und interessanten Spielen. Der Turnierausklang
abends im Bootshaus hätte nicht schöner sein können. Es wird gebechert, getanzt,
gesungen, Adressen ausgetauscht, Brüderschaften geschlossen und Souvenirs
gehandelt. Ja, Herr Mützenlieferant, jetzt könnten Sie ein Geschäft machen!
Besonders unsere ausländischen Gäste reißen sich förmlich um unsere roten
Klubkappen als Andenken. Die Stimmung überschlägt sich fast. Als die Hornets und
die Gymkhanas um 24 Uhr unter den Musikklängen "Muß i denn, muß i denn ..." zum
Bus nach Ostende begleitet und verabschiedet werden, liegen drei anstrengende
Tage hinter mir. Doch alle sind sich einig – und das ist für mich das Schönste –
das bisher größte Hockey-Turnier unseres Vereins war sportlich und
gesellschaftlich ein voller Erfolg.
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