Mit einem solchen Titel zu bluffen
wäre als Pfand etwas zu hoch gegriffen. Dafür ist die Vermarktungsmöglichkeit zu
reizvoll. Wir haben Berlin taktisch vielleicht etwas überinterpretiert und eine
gewisse Scheu gezeigt. Der BHC hingegen wäre fast in der Vorrunde gescheitert
und hat dann im Endspiel rotzfrech aufgespielt. Außerdem kommt hinzu, daß es für
unsere Nationalspielerinnen das siebte Großereignis in einem Jahr war, von der
letzten Hallenendrunde und dem Europapokal, der Champions Trophy, den
Olympischen Spielen, dem Halbfinale und dem Gewinn der Feldmeisterschaft bis zur
Bundesligarunde. Diese Überspieltheit äußert sich dann in kreativen Schwächen.
Das deutsche Hallenendspiel im
vergangenen Jahr und der Europapokal gingen gegen den gleichen Gegner verloren.
Ist der Berliner HC der Angstgegner?
Das wäre eine Fehlinterpretation. Wir
können nicht jede Mannschaft, die gegen uns gewinnen kann, zum Angstgegner
hochpuschen. Sei es Leverkusen, Braunschweig, der BHC oder die Eintracht - es
gibt eben Gegner, die gutes Hockey spielen. Zum BHC muß man sagen, daß die
Mannschaft derzeit die beste deutsche Hallenmannschaft ist. Ob das auch reicht,
um deutscher Meister zu werden, ist eine andere Sache. Die Berlinerinnen waren
hochmotiviert, zudem hatten wir nach der Vorrunde die Favoritenposition. Nun ist
es umgekehrt, der BHC muß den Titel verteidigen, und wir greifen an.
Ich habe das Finale natürlich auf
Video studiert und viele Erkenntnisse gewonnen. Aber es geht mehr darum, was ich
realistisch noch vermitteln kann, weniger darum, was ich objektiv alles erkannt
habe. Das Training wird mehr in Richtung Motivation und Siegeswille zielen.
Kritiker bescheinigen dem
Rüsselsheimer Spiel, daß es zu sehr auf Nationalspielerin Britta Becker
abgestellt sei. Ist der RRK so einfach zu durchschauen?
Das Problem ist anders gelagert. Wir
haben zu selten Spiele, in denen es dem Gegner gelingt, unseren Aufbau so
wirkungsvoll zu stören. Nun haben wir den Fall erlebt und konnten uns im Grunde
gut darauf einstellen. Wir haben taktisch wesentlich besser gespielt als bei der
Niederlage im deutschen Endspiel. Die taktischen Lösungen kennen wir, leider
waren wir nicht in der Lage, dies alles umzusetzen. Das kann am Wochenende
völlig anders aussehen.
Sind Rüsselsheim und Berlin am
Sonntag wieder Gegner im Finale?
Davon geht jeder aus, und das ist
gefährlich genug. Unser Gegner Klipper Hamburg ist im Vergleich zum Vorjahr
wesentlich besser geworden. Aber auch der BHC wird seine Probleme im Halbfinale
bekommen. Eintracht Frankfurt spielt die beste Raumdeckung in Deutschland. So
etwas ist Berlin im Norden nicht gewohnt. Das ist eine ähnliche Ausgangsstellung
wie für uns im Europapokalfinale.
Die Rüsselsheimer Damen waren in
den vergangenen Jahren bei allen Großereignissen im Vereinshockey dabei. Sind
die Erfolge für den Verein noch finanzierbar?
Wir müssen bei unserer Vermarktung
sicherlich noch einiges verbessern. Leider ist mit dem Europapokaltitel nun
natürlich eine Sonderprämie vom Hauptsponsor futsch. Aber unser Etat ist nicht
so brutal aufgestellt, daß wir Gelder einspielen müssen. Unser Spielbetrieb ist
sichergestellt, und im Vergleich zu anderen Sportarten fallen ja auch
Spielergehälter weg. Noch können wir alle Mannschaften, auch in der Jugend, ohne
Eigenbeteiligung zu allen Endrunden schicken. Vielleicht müssen wir da demnächst
etwas ändern.
Die große Tradition des
Rüsselsheimer Hockeys basiert auf den Erfolgen der Herren in den siebziger
Jahren mit den Olympiasiegern Peter Kraus, Rainer Seifert und Fritz Schmidt.
Inzwischen trainieren Sie auch die Herren. Wann sind Sie dort so erfolgreich wie
bei den Damen?
Die Situation ist besser, als sie die
Öffentlichkeit wahrnimmt. Wir sind vor zwei Jahren noch mit einer anderen
Generation aus der Bundesliga abgestiegen. Inzwischen haben wir eine sehr junge
Mannschaft, die sich in der Zweiten Liga gehalten hat. Mittelfristig werden wir
wieder in die Bundesliga kommen.