Das Interview
führte Martin Krieger (aus "Main-Spitze" vom 8. August 2017)
Es ist ja nicht so,
als hätten Hockeycracks des Rüsselsheimer Ruder-Klubs (RRK) bei Olympischen
Spielen nicht schon vor und auch nach 1992 für Furore gesorgt. Peter Kraus,
Fritz Schmidt und Rainer Seifert gewannen in München 1972 Gold – Denise Klecker,
Mandy Haase und Silke Müller taten es dem Trio anno 2004 in Athen nach. Und 1984
und 1988 war Tobias Frank mit Silber dekoriert aus Los Angeles und Seoul
zurückgekehrt.
Sechs
Medaillengewinner binnen Tagesfrist indes setzten vor 25 Jahren in Barcelona
eine Marke, die nicht nur in der Opelstadt schwerlich zu toppen sein wird.
Britta Becker, Tanja Dickenscheid, Eva Hagenbäumer, Susanne Müller und Bianca
Weiß mussten sich am 7. August 1992 Gastgeber Spanien – unter den Augen des
Königspaars – nach dem zwischenzeitlichen Ausgleich durch Franziska Hentschel (RTHC
Leverkusen) in der Verlängerung 1:2 beugen und gewannen Silber. Dieser Erfolg
wurde am nächsten Abend von den DHB-Herren – darunter RRK-Torwart Christopher
Reitz – dank zweier Treffer des Mönchengladbacher Michael Hilgers mit dem
finalen 2:1 gegen Australien gekrönt.
Unter den 10.000
Zuschauern auf der Tribüne des Stadions in Terrassa, wenige Kilometer nördlich
von Barcelona gelegen, saß damals auch Berti Rauth. Der seinerzeit 33-Jährige
hatte sich als aufstrebender und national bereits recht erfolgreicher Trainer
auf den Weg nach Katalonien gemacht, um seine Schützlinge bei Olympia zu sehen
und gleichzeitig seinen Horizont zu erweitern. Obwohl seit zehn Jahren in
Hamburg zu Hause, denkt Rauth gerne an die Tage in Barcelona und seine
28-jährige Schaffenszeit beim RRK zurück.
Zu den Personen
Berti Rauth (58) verließ 2007 nach 28
Trainerjahren und 33 nationalen wie internationalen Meistertiteln den
Rüsselsheimer RK in Richtung Club an der Alster Hamburg, wo er seither die
Jugendarbeit verantwortet. Der gebürtige Flörsheimer fungierte zwischen 1995
und 2000 zusätzlich als Damen-Bundestrainer, war 1998 WM-Dritter.
Britta Becker (44/231 Länderspiele)
lebt seit der Jahrtausendwende in Hamburg und hat vier Kinder, wobei die
älteste Tochter Emily dem Bundesligateam des Club an der Alster und dem
U18-Nationalkader angehört. Die gebürtige Rüsselsheimerin und
Kant-Abiturientin ist seit 2013 als DHB-Vizepräsidentin tätig.
Tanja Dickenscheid (48/189
Länderspiele) ist mit Ehemann und Sohn in Büttelborn zu Hause und als
Diplom-Biologin bei einem Pharmaunternehmen im Bereich Medizinentwicklung
beschäftigt. Die gebürtige Mainzerin war vom SV Gau-Algesheim zum RRK
gekommen.
Eva (Hagenbäumer) Hansen (50/140
Länderspiele), in Wiesbaden geboren und beim WTHC zum Hockey gekommen,
arbeitet in Essen als Physiotherapeutin. Sie hat zwei Kinder, die beide bei
ETUF Essen Hockey spielen.
Susanne (Müller) Bellenbaum (45/61
Länderspiele) lebt seit vier Jahren mit ihrer Familie – darunter zwei
Töchter – in München. Die aus Hanau stammende Physiotherapeutin ist auch als
Fitnesscoach tätig.
Bianca (Weiß) Heinz (49/60
Länderspiele) hat als gebürtige Mainzerin mit Ehemann und drei Kindern in
Rüsselsheim ihren Lebensmittelpunkt, wobei die jüngste Tochter Pauline dem
U16-Kader des DHB angehört. Die studierte Touristik-Kauffrau arbeitet
ehrenamtlich bei Mainkinderkram und im Jugendausschuss des RRK.
Christopher Reitz (44/154
Länderspiele) hat es als Arzt nach Sydney verschlagen. Der gebürtige
Frankfurter ist seit 2003 mit der früheren australischen Tennisgröße
Catherine Barclay verheiratet. |
Herr Rauth, auf
den Tag genau 25 Jahre ist es her, dass Sie in Barcelona fünf Mal Silber und
eine Goldmedaille ihrer damaligen RRK-Schützlinge bejubeln konnten. Welche
Erinnerungen kommen spontan hoch?
Da Terrassa ja
etwas außerhalb lag und wir mit der S-Bahn dorthin gefahren sind, erinnere ich
mich an die vielen Leute aus anderen Ländern – total multikulti eben. Obwohl ich
die meiste Zeit im Hockeystadion verbracht habe – Sprinter Linford Christie habe
ich über 100 Meter siegen gesehen –, war das ein tolles Erlebnis für mich, das
mich als jungen Trainer total in den Bann gezogen hat und einzigartig geblieben
ist. Dadurch, dass meine Spielerinnen Akzente setzen konnten, war ich irgendwie
auch unten dabei. Dazu hat mich die Stabilität der Herren und die Pfiffigkeit
eines Micky Hilgers im Finale gegen Australien total begeistert.
Hätte das 1:2
der Damen gegen Spanien sein müssen oder wäre auch Gold drin gewesen?
Spanien hat die
Euphorie damals genauso ausgenutzt, wie dies aktuell den holländischen
Fußballerinnen bei der EM gelungen ist. Von einer solchen Welle werden nur
Heimteams getragen und gepusht. Ich denke nicht, dass die Spanierinnen besser
waren, aber bei drei, vier gleichstarken Teams braucht es immer auch das
Momentum und das Quäntchen Glück. Abgesehen davon war das erste Gegentor im
Finale irregulär, was beim Videobeweis heute herausgekommen wäre.
Es gab damals
Stimmen, die besagten, dass Deutschland unter einem Bundestrainer Rauth nicht
verloren hätte. Was hätten Sie anders gemacht?
Klar hätte ich
anders gespielt und vielleicht auch die Belastung gleichmäßiger verteilt. Aber
es wäre komplett überzogen, zu behaupten, dass mit mir Gold herausgekommen wäre.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie oft es an Kleinigkeiten hängt. Und der, der
auf der Bank sitzt, wird sowieso immer hinterfragt.
Sie waren von
1995 bis 2000 selbst Damen-Bundestrainer und sind in Atlanta 1996 sowie Sydney
2000 ohne olympisches Edelmetall geblieben. Wie bewerten Sie diese Zeit
rückblickend?
Ganz ehrlich – ich
habe diese Zeit genossen. Auch wenn es einen von Ehrgeiz zerfressenen Trainer
natürlich nervt, nicht ganz oben drin gewesen zu sein. Aber wie bereits gesagt,
in der Weltspitze muss an einem bestimmten Punkt einfach alles passen. In
Atlanta haben wir die USA und Spanien geschlagen, aber gegen Australien den
Innenpfosten getroffen und dann gegen England eine Regenschlacht mit
Unterbrechung 2:3 verloren. Das war eine super enge Geschichte. Aber es hat
totalen Spaß gemacht, mit den unterschiedlichen Charakteren zu arbeiten und zu
versuchen, von der Individualistik weg- und mehr zum Mannschaftsspiel
hinzukommen.
2004 gab es in
Athen dann dreimal Gold für RRK-Spielerinnen. War das die Krönung Ihrer Arbeit
in Rüsselsheim?
Natürlich erfüllt
einen das mit Stolz, wenn man solche Spielerinnen fördern und formen kann. Silke
Müller kam als großes Talent zu uns, der ich nur noch einen Push zu geben
brauchte. Mandy Haase dagegen habe ich von den C-Mädchen bis ins A-Nationalteam
begleitet, was für mich eine Komplettkarriere bedeutet. Bei Denise Klecker war
ich anfangs skeptisch, aber sie ist das Paradebeispiel dafür, was man erreichen
kann, wenn man es unbedingt will. Da hat der Sport wirklich sein ganzes Füllhorn
ausgeleert. Das gilt übrigens auch für Christopher Reitz, der so ehrgeizig war,
dass ich mit ihm als 16-Jährigen bereits ein spezielles Torwarttraining
durchgezogen habe.
Sie haben den
RRK 2007 nach 28 Jahren mit 15 DM-Titeln und 18 Europacup-Triumphen in Richtung
Hamburg verlassen. Geht es Ihnen noch nahe, dass Ihr ehemaliges Team sich von
der Spitze sukzessive entfernt hat und vor wenigen Monaten zum zweiten Mal aus
der Bundesliga absteigen musste?
Ich habe mich
gefreut, als sie wieder aufgestiegen sind. In der abgelaufenen Runde hätte ich
frühzeitiger begonnen, ein Team für die Zweite Liga zusammenzustellen. Einfach
deshalb, um aufzupassen, bloß nicht in der Versenkung zu verschwinden. Für mich
ist das, was der RRK oder Mülheim mit ihrer Aufbauarbeit leisten, wesentlich
höher anzusiedeln, als sich einen starken Kader zusammenzukaufen, wie das Köln,
Mannheim oder der UHC Hamburg tun. Vor dem Hintergrund werde ich manchmal schon
sentimental, wenn ich daran denke, was wir in Rüsselsheim mit unseren
Möglichkeiten alles erreicht haben. Speziell den Europapokal der Landesmeister
von 1993 betrachte ich noch immer staunend.
Wo stünde der
RRK, wenn Berti Rauth oder auch Britta Becker am Untermain geblieben wären?
Ich hätte mit
Sicherheit so viel sportlichen Ehrgeiz entwickelt, das Ganze nicht wegsacken zu
lassen. Titel sind immer eine besondere Sache, aber oben mitmischen würden wir
schon. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen trotzig, aber ich habe auch
damals alles daran gesetzt, Leverkusen oder Berlin nicht vorbeiziehen zu lassen.
Ich bin auch mit fast 59 noch nah dran am Hockey und weiß, was passiert, aber
von der Energie her könnte ich das heute nicht mehr alleine leisten. Ich kann
zuarbeiten und bilde weiterhin gerne junge Leute aus, muss aber nicht mehr vorne
wegmarschieren. Und beim Coaching arbeitest du dich auch ein stückweit ab.
Wie eng ist noch
die Verbindung zu den ehemaligen Spielerinnen und zum RRK?
Zu Bianca Heinz und
Fritz Schmidt (Erster Vorsitzender des RRK; Anm. d. Red.) bestehen lose
Kontakte, und ab und zu bekomme ich Infos. Silke Müller etwa hat mir kürzlich
ein Foto ihres zweiten Kindes geschickt. Und wenn die Leute in Hamburg sind,
treffen wir uns mal. Mit Britta Becker stehe ich bei zwei Alster-Nachwuchsteams
am Spielfeldrand. Wir rennen schon ziemlich synchron über den Platz.