Von Heiko
Weissinger (aus "Rüsselsheimer Echo" vom 6. November 2013)
Der ehemalige, langjährige Hockey-Trainer des Rüsselsheimer
RK, Berti Rauth, wurde kürzlich mit den Mädchen A des Clubs an der Alster
Deutscher Feldhockey-Meister. Beim Kurt-Becker-Cup am Wochenende sprach der
55-Jährige über seine Arbeit in Hamburg und die Situation beim RRK.
ECHO: Herr Rauth, sechs Jahre nach Ihrem Amtsantritt als
Jugendkoordinator hat der Verein die erste nationale Meisterschaft unter Ihrer
Ägide geholt. Lagen Sie damit im Zeitplan?
Rauth: Es gab keinen Zeitplan. Mein Engagement in Hamburg war sinnvoll,
weil ich immer mit der Aufbauarbeit bei der Jugend und der Talentsichtung zu tun
hatte und damit in Rüsselsheim sehr erfolgreich war. Alster wollte eine Lücke
schließen und eigene junge Spieler an die Bundesliga heranführen. Der Verein
hatte Titel bei Damen wie Herren geholt, aber Talente aus der eigenen Jugend
waren selten.
ECHO: Und heute?
Rauth: In dieser Feldsaison standen wir in in acht von zehn Jugend-Endspielen
des Hamburger Landesverbandes, waren mit der männlichen B-Jugend DM-Dritter und
haben den Titel mit den Mädchen A geholt. Das ist ein Riesen-Ausrufezeichen und
dokumentiert eine kontinuierlich gute Arbeit.
ECHO: Es war der erste DM-Titel der Vereinsgeschichte im weiblichen
Nachwuchsbereich. Der Anfang einer neuen Ära wie vor 30 Jahren beim RRK, als Sie
erstmals Deutscher Meister mit den A-Mädchen in der Halle wurden?
Rauth: In so einer Karrieredenke stecke ich schon lange nicht mehr drin. Ich
weiß, dass ich noch einiges bewegen kann, und genieße das auch, aber es ist
nicht so, dass ich Titel an Titel reihen möchte. So eine Meisterschaft macht
mich allerdings immer noch stolz.
ECHO: Beim RRK haben Sie anschließend über dreißig Titel geholt. Hatten Sie in
den vergangenen sechs Jahren schon Entzugserscheinungen?
Rauth: Als ich in Hamburg begonnen habe, auf einer Trainingsanlage, die nicht so
toll ist wie die in Rüsselsheim, mit vielen verwöhnten Kindern, habe ich –
ehrlich gesagt – nicht geglaubt, dass ich ganz nach oben kommen kann. Auch wenn
meine Co-Trainerin Britta Becker-Kerner und ich mit viel Herzblut gearbeitet
haben, konnte man das nicht erwarten. Es ist auch nicht leicht, da noch was
draufzusetzen. Ab einem gewissen Alter geht die Hälfte der Mannschaft ins
Ausland, da muss man sehen, wer noch übrig bleibt.
ECHO: Beim Club an der Alster spielt auch die älteste Tochter von Britta
Becker-Kerner. Die Mutter reifte unter Ihnen beim RRK zur Nationalspielerin. Hat
die Tochter das Talent geerbt?
Rauth: Emily Kerner ist jetzt 14 und wurde bei der DM unter die fünf besten
Spielerinnen des Turniers gewählt. Sie hat am Wochenende zum ersten Mal einen
Nationalmannschafts-Lehrgang besucht und hat absolut das Format, um eine
außergewöhnliche Spielerin zu werden. Sie bringt den Willen und die mentale
Stärke mit. Es macht Spaß, mit solchen Talenten zu arbeiten.
ECHO: Mit welchen Gefühlen kehren Sie – wie jetzt zum Kurt-Becker-Cup – nach
Rüsselsheim zurück?
Rauth: Ich wurde sehr herzlich aufgenommen und bekam viele Gratulationen zum
DM-Titel. Alte Mitstreiter aus dem Herren- und Damen-Bereich sind gekommen, auch
einen alten Schulfreund habe ich getroffen und die Atmosphäre sehr genossen.
ECHO: Der 2005 verstorbene Kurt Becker war beim Rüsselsheimer RK 15 Jahre
Jugendleiter. Wie beurteilen Sie rückblickend seine Arbeit, nachdem Sie nun in
gleicher Position in Hamburg tätig sind?
Rauth: Kurt Becker, der mich jahrelang super unterstützte, hat mir mal erzählt,
wie oft er Eltern im Umfeld der Mannschaft beruhigen muss. Damals hatte ich das
gar nicht wertgeschätzt. Aber jetzt merke ich selbst, wie wahnsinnig viel
Energie und Liebe man aufbringen muss, um die ganzen Dinge voranzutreiben.
ECHO: Die Hockey-Frauen des RRK sind derzeit im Mittelfeld der Bundesliga
platziert, die DM-Endrunde ist kaum noch erreichbar. Wie beurteilen Sie die
Entwicklung Ihrer ehemaligen Mannschaft?
Rauth: Ich habe mir am Samstag das Spiel gegen Mannheim angeschaut und halte die
junge Mannschaft für sehr talentiert. Spielerinnen wie Celina Hocks, die ich
selbst noch in der Schulhockey-AG gesichtet hatte, stehen für die Zukunft des
RRK. Momentan ist ein Generationswechsel im Gang. Ich bin froh, dass schon
genügend Punkte eingefahren wurden, so dass die Talente ohne Abstiegsangst
Erfahrungen sammeln können.
Erfolgsduo: Berti Rauth und seine
Co-Trainerin Britta Becker-Kerner – hier am Wochenende beim Kurt-Becker-Cup
in der Sporthalle Bauschheim – haben die Hockey-Mädchen A des Clubs an der
Alster Hamburg an die nationale Spitze geführt. |
ECHO: Die RRK-Männer, mit denen Sie als Spieler von 1976 bis 1978 dreimal
Deutscher Meister wurden und die Sie später in der Ersten Liga trainiert haben,
sind inzwischen nur noch Mittelmaß in der drittklassigen Regionalliga. Schmerzt
Sie das?
Rauth: Ja, das tut weh. Vieles im Werdegang dieser Mannschaft ist unglücklich
gelaufen. Ich glaube aber, dass man über die immer noch extrem engagierte
Jugendarbeit Zugpferd bleiben kann, um Zugänge aus anderen Klubs zu bekommen.
Man muss aus einer gewissen Bescheidenheit und Stabilität heraus Schritt für
Schritt wieder nach oben kommen. Das geht nur über eine famose Jugendarbeit. Und
Jammern hilft nicht. Alle müssen mit anpacken, und ich habe beim Kurt-Becker-Cup
super Ansätze im Nachwuchsbereich gesehen.
ECHO: Sie sind jetzt sechs Jahre in der Hansestadt: Fühlen Sie sich mittlerweile
schon als Hamburger oder sind Sie im Herzen Rüsselsheimer geblieben?
Rauth: Meine Heimat ist Rüsselsheim, zuhause bin ich momentan in Hamburg. Ich
genieße die Stadt, mit ihrem kulturellen Leben, und weiß die Möglichkeiten dort
zu schätzen. Aber ich komme jedes Mal gerne nach Rüsselsheim und genieße diese
Zeit.
ECHO: Früher hat Hockey Ihr ganzes Leben bestimmt. Ist das immer noch so oder
haben Sie jetzt mehr Zeit für Hobbys?
Rauth: Das hat sich mit den Jahren gewandelt. Ich bin jetzt sehr naturverbunden,
interessiere mich für Pflanzen. Und ich habe gute Kontakte in die Kunstszene,
bin mit ein paar Künstlern befreundet. Das lenkt ein bisschen vom Hockey ab und
öffnet den Horizont. Heute bin ich weitaus breiter aufgestellt als früher. Ich
musste mich anfangs total dem Hockey verschreiben, um weiterzukommen, und das
hat sich auch für meinen beruflichen Werdegang gelohnt. Aber ich bin keine 25
mehr, und im Alter sollte man auch mal über den Tellerrand hinausblicken.
ECHO: Bei Ihrem Abschied vom RRK 2007 hatten Sie eine Rückkehr nicht
ausschließen wollen. Wie wahrscheinlich ist es heute, dass Sie irgendwann noch
einmal für ein Team des Ruderklubs die Verantwortung tragen?
Rauth: Ich hatte mir es niemals vorstellen können, von Rüsselsheim wegzugehen.
Deshalb möchte ich auch eine Rückkehr zum RRK nicht ausschließen. Das Leben ist
dafür zu überraschend, zumal ich auch ein impulsiver Typ bin.
ECHO: Wie sehen Sie Ihre berufliche Zukunft?
Rauth: Ich bin momentan unentschieden und weiß nicht, wo es für mich hingeht.
Hockey wird immer Teil meines Lebens sein, aber ich weiß nicht, ob es so
umfangreich bleibt.
ECHO: Was heißt das?
Rauth: Es könnte sein, dass ich überhaupt nichts mehr machen möchte und nächstes
Jahr mit dem Wohnwagen zur Weltmeisterschaft der Damen und der Herren nach
Holland fahre. Das ist ein bisschen Kopfkino, aber in meinem Alter ist es
erlaubt, darüber nachzudenken.
ECHO: Würde Sie ein Job als Nationaltrainer im Ausland noch einmal reizen?
Rauth: Als ich Bundestrainer war, hatte ich das schon ausgeschlossen, weil mir
das Zuhausesein, das Häusliche, doch sehr gefehlt hat. Ich genieße die Zeit mit
meiner Freundin in Hamburg und will nicht ins Ausland.
ECHO: Können Sie sich vorstellen,
"Hockey-Rentner" zu sein?
Rauth: Rentner kann ich von meinem Naturell her schon nicht sein. Dafür bin ich
viel zu wuselig und brenne noch zu sehr. Das komplette Runterfahren wird mir gar
nicht gelingen. Aber so ein Job ist kräftezehrend. Und nach 30 Jahren Vollgas
ist das legitim, durchzuschnaufen und darüber nachzudenken, ob ich die
Intensität meines Engagements runterschraube. Weil ich nie auf großem Fuß gelebt
habe, könnte ich es mir jedenfalls leisten.
Im Alter von neun Jahren begann der am 9. Oktober 1958 in
Flörsheim geborene Berti Rauth mit dem Hockeyspielen beim Rüsselsheimer RK. 1976
wurde er mit den RRK-Männern Deutscher Hallenmeister, 1977 und 1978 folgten zwei
DM-Titel auf dem Feld.
Schon als Jugendlicher war Rauth an einem Trainerjob
interessiert. Mit 20 führte er die B-Mädchen des RRK zur hessischen
Hallenmeisterschaft. Er beendete daraufhin seine Aktivenlaufbahn und
konzentrierte sich ganz auf die Trainertätigkeit.
Die systematische Nachwuchsarbeit Rauths, der Biologie und
Sport für das Lehramt an Gymnasien studierte, schlug sich in den achtziger
Jahren in zahlreichen Titeln seiner Mädchen-Mannschaften nieder. Dem Aufstieg
des Rüsselsheimer Damen-Teams in die Bundesliga 1987 folgte 1990 der Gewinn der
ersten deutschen Meisterschaft – der Beginn einer langen Ära. Bis zu seinem
Abschied 2007 holte Rauth über 30 nationale und internationale Titel mit
RRK-Teams. Von 1995 bis 2000 war der heute 55-Jährige parallel auch Trainer der
deutschen Damen-Nationalmannschaft.
Es schien unvorstellbar, dass Berti Rauth einmal den
Rüsselsheimer RK verlassen könnte. Doch als ihm der Club an der Alster Hamburg
2007 die gut dotierte Stelle als Jugendleiter offerierte, konnte er das Angebot
nicht abschlagen. Rund 500 Kinder spielen derzeit Hockey bei dem Traditionsklub.
Rauth ist Nachwuchskoordinator und trainiert selbst die Mädchen A und B, die
weibliche B-Jugend und die B-Knaben.